Herausforderungen

Herausforderungen

Klaus hat unsere RYA Herausforderung bereits sehr treffend beschrieben. Ein knappes Jahr haben wir uns theoretisch auf die RYA Ausbildung vorbereitet.  Unendlich viel Stoff in uns reingepaukt, dass der Kopf gefühlt überzulaufen drohte. Es sind nicht die Segelmanöver, die wir schon viele Jahre praktizieren,  es ist das theoretische Wissen, das wir in ungewohnten Gewässern mit sehr hoher Verkehrsdichte umsetzen mussten. Training an der Südküste Englands – im Solent – zu Herbstbeginn, na toll! Bekanntermaßen gehört England ja nicht gerade zu den Schönwettergebieten. Und ich bin halt ein Sonnenkind.

Ich habe mich in den letzten Monaten mehrfach gefragt, warum ich mir das antue. Den berühmte Spruch „Segeln ist wie 100 Euro-Noten unter der kalten Dusche zu zerreißen‘ fand ich hierfür sehr passend. Aber ich wollte lernen und mich der Herausforderung stellen. Das zweiwöchige Training ähnelte mitunter einer Mathe-Klausur. Abtauchen in Tidenkalendern, Berechnung von wechselnden Strömungen, Wind, Welle, Kompasskursen, Beachtung von Verkehrtrennungsgebieten, Deutung von Licht- und Sound Signalen – you name it. Und das natürlich, bevor du mit dem Boot überhaupt den Hafen verlassen hast, geschweige denn, die Segel setzen konntest.

Es war eine mega-spannende und lehrreiche Zeit auf dem Boot, die mich zwischenzeitlich auch an meine Grenzen brachte. Ich war diejenige, die den bekanntesten Seglerknoten nicht mehr setzen konnte und völlig resigniert die Leine an den Trainer übergab. Peng – Overload.

Wie das im Leben so ist, man weiß nicht, was auf einen zukommt. Und es kam anders, als vermutet.
Rückblickend bin ich stolz und glücklich, dass wir uns dem RYA Kurs unter genau diesen Umständen gestellt haben.
Der Solent ist ein sehr schönes, außergewöhnliches Segelrevier, dass uns ein um’s andere Mal ins Staunen versetzt hat und hey, auch dort oben lacht die Sonne.

Unter Seglern sagt man, wer im Solent segeln kann, der kann es überall.

Off we go!

Nortada

Nortada

Angenehm sind die Vormittage an der Algarve, sonnig und warm. Doch in diesen Tagen, gegen 16 Uhr setzt regelmäßig Nordwind ein. Die Boote in der Marina zerren an den Leinen, der Sand bläst waagrecht über den Strand, die Sonnenhüte der Damen fliegen davon und hinaus aufs Meer. Das ist der Nortada, der, aus dem Azorenhoch geboren, im Sommer warme Luftmassen über der iberischen Halbinsel nach Süden schaufelt, wenn sich die Landmassen während des Tages stark erwärmen. Die Böen können dann mit 25 kt (45 km/h) durch die Marina brausen und wer nicht rechtzeitig angelegt hat, läuft Gefahr, der bunten Touristenschar entlang des Quais ein erstklassiges Hafenkino zu bieten. Rufe werden zu Schreien, Menschen laufen unkoordiniert über Decks, Leinen fallen ins Leere, Fiberglasrümpfe krachen verstörend auf Metall oder Beton.


Wir genießen den Spätnachmittag auf der Liegefläche am Vorschiff, als die Malu an uns vorüberfährt, eine 40 Fuß Segelyacht. Anfangs zu schnell für die Enge des Hafenbeckens. Dann zu langsam. Wir sehen der Crew die Anspannung an. Menschen mit einem Leinenhaufen, zu hoch positionierte Fender, der Skipper am Ruder schwitzt und kommandiert hektisch seine Crew auf dem Boot herum. Eine Jugendliche im Bikini schüttelt genervt den Kopf. Dann ergreift der Wind die Kontrolle über das Boot. Schon treibt der Bug ab und in Richtung einer etwas längeren Yacht, deren massiver Anker wie eine Lanze mit Widerhaken jedem droht, der ihr zu nahe kommt. Der Stress steigt ins Unermessliche. Ein Krachen, ein Schlag, Schreie. Kindergezeter. Vatergebrüll. Das Mädchen schüttelt den Kopf und geht unter Deck. Eine Frau, die ihre Mutter sein könnte, lässt sich kraftlos auf den Kajütaufbau sinken und verbirgt das Gesicht in Händen.

Zurück ins Wasser

Zurück ins Wasser

Wippenden Fußes sitzen wir seit 6 Wochen zu Hause und warten auf das ‚final go‘, dass unsere Dream Chaser aus dem Werft-Paradies abgeholt werden möchte. Am 7. August ist es endlich soweit. Ich beschließe, meine Reise bereits am 5. August anzutreten. Dieses Mal alleine. Klaus schwimmt derzeit auf dem Adriatischen Meer gemeinsam mit Freunden, ein bereits lang geplanter Segeltörn.

Den Gedanken, mal ein  Boot auf dem Trockendock zu bewohnen, finde ich spannend. Über ein Gerüst und die Badeleiter kletternd sitze ich 3 Meter hoch über Beton.  Strom ist vorhanden, der Wassertank noch halbvoll, ordentliche sanitäre Anlagen auf der Werft und mit der abendlichen Beschallung des Sardine Festivals in Portimao vom gegenüberliegenden Ufer lässt es sich gut aushalten.

Der Boatlift ist für Montag früh um 10h30 angesetzt und mit jeder weiteren Stunde an diesem sonnigen Tag nimmt der Wind und die Böen immer stärker zu. Mit den beiden Mechanikern Roy und Denys an Bord und einem Plan B in der Tasche für eine mögliche Umkehr, falls uns der Schwell und stark böiger Wind nicht die Hafeneinfahrt von Marina de Lagos passieren lässt, werden wir mit dem riesigen Kran wieder zu Wasser gelassen. Nach einigen Pirouetten zur Prüfung der Ruder- und Propellerfunktion, gefolgt vom ‚Daumen hoch‘ unserer Spezialisten, verlassen wir die Bucht von Portimao und nehmen zielstrebig Kurs auf unseren 7sm entfernten Heimathafen.

Das Hafenmanöver in Lagos ließ sich ohne Zwischenfälle meistern, auch wenn der Name unseres Bootes über Funk vom Marina Office zweimal abgefragt musste, bevor sie die Brücke zur Passage für uns geöffnet haben.

Tja, es ist auch schon viel zu lange her, dass die Dream Chaser im Hafenbecken schaukeln durfte.

Naturgewalten

Naturgewalten

Als Segler lernt man ganz schnell den Naturgewalten Respekt zu zollen und sich ihnen besser anzupassen, als sich ihnen auszuliefern. Die Wetterbedingungen lassen sich in der Regel vorhersagen und man entscheidet selbst, ob, wie und wann man sich diesen aussetzen möchte. Anders fühlt sich die unmittelbare Begegnung mit einem naturgewaltigen Orca an. Faszinierend und in gewisser Weise doch auch furchteinflößend, genau so würde ich es beschreiben. Mit welcher Eleganz so ein Wesen mit seinem tonnenschweren Gewicht durch das Wasser gleiten kann – einzigartig; Aus der Ferne betrachtet, wohlgemerkt. Steuert dieser Meeressäuger allerdings in hoher Geschwindigkeit gezielt auf Dein Boot zu, taucht darunter ab und plötzlich erbebt der Boden unter deinen Füßen, fühlt sich das nicht mehr witzig an. Tonnengewicht gegen Tonnengewicht – wer ist der Stärkere?

Wir haben in diesem Fall den kürzeren gezogen und müssen just unseren Segeltörn aufgrund eines Ruderschadens abbrechen. Trotz allem natürlich Glück im Unglück – wir blieben standhaft an Bord während dieses Zwischenfalls und konnten, noch etwas erschrocken, zumindest den nächsten Hafen ansteuern.

Wir liegen am darauffolgenden Abend in einer malerischen Bucht vor Anker, bevor am nächsten Tag unser Boot aus dem Wasser kommt. Während die Eiswürfel in unseren Gin Tonic Gläsern klirren, schauen wir der Sonne zu, wie sie hinter den Hügeln immer weiter herabsinkt. Es ist viel zu friedlich um uns herum, um morgen nach Hause zu fliegen.

Die Faszination dieser großen Meerestiere bleibt. Sie können uns gerne ein Stück auf unserer Odyssee begleiten – in gebührendem Abstand versteht sich.

Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Wir kamen von der Flussmündung des Guadalquivir und befinden uns am Ende eines langen Tages kurz vor der Einfahrt zur Isla Culatra bei Faro, als unser Blick über Backbord zu einer vierzig Fuß Yacht wandert, die, als würde sie ankern, ohne Segel in der Sonntagssonne auf dem Wasser dümpelt.
Ich sehe eine Bewegung an der Wasseroberfläche. Etwas, das aussieht wie ein kurz auftauchender Delfin. Wir sind bei 36°54′ N 007°49′ W. Es ist der 25.06.2023, 16:05 LT, aber was interessiert sich ein Fisch für eine menschengemachte Positionsangabe, für eine Zeit.
Kaum eine Minute später taucht der Fisch erneut auf. Er schwimmt in unsere Richtung. Er ist größer als ein Delfin, viel größer, massiger. Seine Finne ist schmal und lang. Ein Schwertwal. Er hält direkt auf uns zu.

Wir kennen Berichte von Walangriffen auf Yachten. Unter Seglern verbreitet sich so etwas schnell. Einer hört was, einer sagt dazu was, ein Dritter erzählt es weiter, ein richtiges vom Hören-sagen ist das. Man kann nichts darauf geben. Dass die Wale zu einer einzigen Rotte gehören und westl. vor Gibraltar ihr Unwesen treiben. Dass sie ihrer Nahrung, den Thunfischschwärmen, folgen; diese wiederum den Sardinen. Wenn die Fischer ihre Sardinennetze leer aus dem Wasser ziehen, weiß man, dass keine Wale in der Nähe sind, erklärte uns Denys, der Rigger. Dass die Wale seit einiger Zeit Boote angreifen, gemeinsam, gezielt. Dass sie sie mitunter schubsen, stoßen, ja sogar drehen, sich bis zu einer Stunde lang einen Spaß daraus machen, Bootsbesatzungen zu erschrecken, wusste einer zu berichten. Vom Hörensagen. Dass das eigentliche Ziel der intelligenten Tiere aber die Ruderblätter der Yachten sind. Dass sie das auch Ihren Jungtieren beibringen. Das Annähern von hinten unten, der pfeilschnelle Vorstoß aus der Tiefe bis kurz unterhalb der Wasseroberfläche, wo sie in einer auslaufenden Bewegung mit einem leichten Kopfstoß das Ruder schubsen. Oder rechtzeitig abbremsen und es mit dem kräftigen Kiefer anknabbern, als wollten sie einen fremden Artgenossen aus ihrem Jagdrevier vertreiben.
Ich stelle mir vor wie es sich anfühlt, wenn fünf Tonnen auf ein Ruderblatt treffen. Etwa wie ein Kleinlaster, der mit dreißig Sachen gegen eine offene Autotür fährt. Die Tür wird mit lautem Krachen aus dem Rahmen gerissen, das ganze Auto wackelt.
In ein Schiff hingegen, reißt von unten ein Loch.

Wir reagieren sofort: Motoren auf Leerlauf, Autopilot aus, Schwimmwesten an.
Gespannte Stille an Bord. Die Dream Chaser plflügt gemütlich durchs Wasser. Bis das Klicken des Funkgeräts die Stille unterbricht.  PAN PAN PAN PAN meldet die IMAGINE auf Kanal 16 und bittet um Hilfe. Sie ist manövierunfähig, nachdem sie kurz zuvor vom einem Orca gerammt wurde.
Es dauert, die Positionsangabe des Schiffes in Grad und Minute nach Länge und Breite zu begreifen: Die IMAGINE ist das Boot querab von uns, keine halbe Meile entfernt, und noch während ich dabei bin, das zu verstehen, sehe ich den Wal erneut, nur wenige Bootslängen querab. Er hat ein Ziel.
An Bord bleibt es still. Meine Frau steht am Ruder. Ich sehe sie nicht, weiß nicht, was jetzt in ihr vorgeht. Ich gehe vorsichtig in Richtung Reling, halte mich an einem Gestänge fest. Halte mich fest, bis die Hand im Krampf schmerzt. Ich gehe zur Reling gegenüber. Sanft schlägt das Wasser der Algarve gegen den Rumpf. Das müsste es für uns gewesen sein.
Ein dumpfer Schlag trifft den Rumpf.
Und kurz darauf sehe ich unseren Moby Dick auf der anderen Seite des Schiffes auf- und wieder abtauchen. Es bleibt still an Bord.
Ein zweiter Schlag lässt den Rumpf beben. Ich suche den Blick meiner Frau. Er ist frei von Angst.
Nach einer weiteren, einer ewigen Minute traue ich mich erneut, zu glauben, zu hoffen, dass es das gewesen ist. Ich greife zum Funkgerät und rufe die IMAGINE. Wir bieten unsere Hilfe an, sobald der Orca verschwunden ist.
Meine Frau legt langsam beide Gashebel nach vorn und will das Steuerrad nach links drehen. Doch es bewegt sich nicht. Das Ruder sitzt fest.

Ende einer Reise

Ende einer Reise

Neben der Dream Chaser liegt die Salara.
Ein Zweimaster aus Holz und Stahl, der vom Bug bis zum Heck kaum zehn Meter misst. Klein, aber groß genug, um einen Mann zu beherbergen.
Salara ist der Name eines oberitalienischen Dörfchens.
Warum das ‚a‘ am Wortende?, wollte ich von Peter, dem britischen Eigner wissen.
Well, antwortete er, Schiffe sind schön. Und launisch. Und manchmal beides. Sie können nur weiblich sein.
Peter lebt seit Jahrzehnten auf der Salazara. Er ist mittlerweile über achtzig und hat seine Familie in England seit Jahren nicht gesehen. Seine Frau nicht, seinen Sohn nicht. Nur seinen Neffen, der Fußball spielt, den sieht er ab und zu, wenn ein Spiel dessen Zweitligamannschaft im Fernsehen übertragen wird. Dafür geht er gelegentlich in eine Sportsbar vor Ort.
Wer weiß, wann die Salazara zuletzt ausgelaufen ist. Sie hat stark Rost angesetzt, Die Segel wirken zerschlissen, die Leinen abgeschossen, das Teakdeck muss repariert werden.
You know, verrät er mir an einem Sonntag morgen, als er lautstark seine Ankerkette auf dem Ponton ausbreitet, weil sie dringend gereinigt werden muss, am Sonntag! Wenn ich das Geld hätte, würde ich mich als erstes scheiden lassen. Und dann würde ich mir ein neues Schiff kaufen. 
Zwei Tage darauf fahren wir nach Hause.
Als wir vier Wochen später wieder zurückkehren, bleibt es ruhig auf dem Liegeplatz neben uns. Peter ist gestorben. Man hat ihn auf seinem Boot gefunden. Er saß zusammengesackt am Steuerstand unter Deck.

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