Die Komplexität eines Bootes zeigt sich tatsächlich erst im Laufe der Zeit. Wir geniessen nun seit eineinhalb Jahren unsere Dream Chaser und verbringen zunehmend mehr Zeit an Bord.
Dass wir hin und wieder mit Pflegen, Ausbessern, Ersetzen, Hinzufügen beschäftigt sind, gehört einfach zum Bootsalltag.
Der wichtigste Aspekt ist jedoch, wir lernen immer wieder dazu. Wenn wir erst mal im Mittelmeer sind, werden wir froh darüber sein.
Glücklichweise sind wir in Lagos mittlerweile gut vernetzt und nehmen Rat und Hilfe der Kenner gerne an.
Nun haben wir seit einiger Zeit Probleme mit unserem Steuerbord-Motor, der sich bei höherer Drehzahl scheinbar einen Wettkampf mit einer Dampflokomotive liefert.
„Verstehe den Motor“, so die Aussage unseres Mechanikers. Der Wechsel vom Krümmer, Reinigung aller Durchlasskomponenten, Austausch von Dichtungen etc. etc. führt zu keinem befriedigenden Ergebnis.
Klaus ist in den Tiefen des Motors abgetaucht, hat mittlerweile einen Gesellenbrief von unserem Mechaniker ausgestellt bekommen, aber hey, es qualmt noch immer.
Die Suche nach dem Fehler geht weiter.
Noch haben wir 3 Monate Zeit, bis die Dream Chaser vollends fit sein muss, bevor wir unsere liebgewonnen Unterstützer in Lagos zurücklassen.
Klammer, Tupfer. Stirn, zunähen. Ich komme mir vor wie eine OP- Schwester Hildegard beim Anreichen des Werkzeugs durch die Luke nach unten, wo Meister Ralf schraubt, hämmert, drückt, quetscht und zieht wie ein Chirurg. Ralf, unser Motorenspezialist vor Ort, unser Mann für den engagierten Einsatz, unser Retter in der Not, sitzt auf dem Motoblock. Von oben sieht es aus, als würde er ihn umarmen. Da ist definitiv eine Art Zuneigung im Spiel, wenn er geduldig den Geräuschen lauscht, wenn er über die Anschlüsse streicht, oder behutsam das Werkzeug ansetzt. Wie im richtigen Leben auch hier mit dem Anspruch auf Rettung dessen, was zu retten ist. Einer der Schiffsdiesel brummt verdächtig und spuckt mehr Luft als Wasser. Wenn er hustet, qualmt er wie ein Schlot. Wenn das so weitergeht, frisst sich irgendwann der Kolben fest. Das ist dann so eine Art Lungenkrebs. Kaum noch heilbar.
Ein Motor braucht Kühlung. Auf dem Schiff wird das mit Seewasser bewerkstelligt. Es wird gefiltert, durch einen Wärmetauscher gepumpt und schließlich wieder über Bord geleitet. Permanente Temperaturschwankungen, das Wasser, Salz – es ist nur eine Frage der Zeit, bis da etwas kaputt geht. Die Dream Chaser ist jetzt im siebten Jahr.
Aber was? Was ist kaputt? Wir haben die Anschlüsse nachgezogen, haben den Vorfilter geleert, das Pumpenrädchen, genannt Impeller, ausgetauscht, den Abgaskrümmer ersetzt, Roy zum Reinigen der Seewassereinlässe bemüht (tauchenderweise wohlgemerkt!), den Wärmetauscher mühevoll gereinigt. Das heißt, Ralf und Roy haben das gemacht. Ich war nur Handlanger.
Nichts. Am Ende haben wir die ganze Impellerpumpe ausgebaut und in ihre Einzelteile zerlegt. Das wir jetzt schon treffender. Ich, der Lehrling. Welle, Dichtungen, Kugellager, Spannringe. Das ging nur in der Werkstatt und dem passenden Werkzeug. Ein kleiner Gummiring mit Kupferdraht war beschädigt. „Was? Sonst nichts?“. Ich schüttele den Kopf. Was würden wir nur ohne Ralf machen. Als ich die Pumpe wieder eingebaut habe (ohne weitere Hilfe), ist ein ganzer Arbeitstag vorüber. In Sachen Kühlwassersystem gehe ich jetzt als Geselle durch.
Das Drecksding hat mich sechs Wochen lang beschäftigt. Was sage ich: gequält regelrecht. Als mein Bruder Jürgen mit seiner Frau Gabi an Bord war, im Juni, ging das bereits los. Wollte nicht einsehen, dass so ein bißchen Pumpe mit Schlauch und Schrauben nicht so will wie ich; dass sie meine Pläne durchkreuzen könnte. Und sei es nur die für den Abend.
Engine Nr. 2 schnurrt wieder wie ein Kätzchen. Das Problem ist behoben. Carola sieht, wie ich mich freue und drückt auf den Auslöser ihres Smartphones.
Was ist da los?, fragte ich Carola, als ich das Großsegel einholen wollte. Es saß fest. In voller Pracht, soll heißen vollständig gesetzt.
Wir waren unterwegs auf einem Sonntagsausflug, Daysailing nennt man das wohl neudeutsch. Die kleine Ausfahrt führte uns zunächst zum Punta do Piedade, einer der schönsten Felsen an der Algarve, mit Leuchtturm. Clemens, unser Sohn, war mit Freunden für ein paar Tage zu Besuch bei uns an Bord. Mit dem Beiboot durch die Grotten, Chillen auf dem Vorschiff, und dann ein bißchen Segeln. Man muss den jungen Leuten ja etwas bieten. Die Bucht von Ferragudo war erneut das Ziel. Für den Abend hatte ich einen Tisch im angesagten Beach-Club Nau reserviert. Easy mit dem Beiboot an den Strand fahren, Flip-Flops an, und vom Wasser her den Club betreten, wo einen britische Band den rausgeputzten Gästen zum Sonnenuntergang bereits kräftig einheizt. Das war der Plan.
Segeln wäre indessen nicht Segeln, wenn da nicht immer wieder mal ein kleiner Zwischenfall der Sache etwas Abenteuer einhauchen würde. Bisher wussten wir, dass es herausfordernd sein kann, ein Großsegel zu setzen. Dass es um ein Vielfaches ärgerlicher ist, wenn der verdammte Lappen nicht mehr runterkommen will, war uns neu. Mit gesetztem Großsegel kann man nicht zurück in die Marina.
4-5 Windstärken, 1m Welle. Zwei lange Stunden haben wir versucht, das Ding zu Fall zu bringen. Wir haben abwechselnd mit Gefühl die Leine gezogen, gedrückt, sogar gedreht. Wir haben sie mit roher Gewalt über die Winsch gezwungen. Wir haben das Boot mal in den Wind gelegt, mal sind wir Manöver gefahren. Nichts.
Es blieb nichts anderes, als mit gesetztem Segel in einer geräumigen Bucht vor Anker zu gehen. Dort, so der Plan, wäre es möglich, an die Mastspitze zu klettern und dort oben, wo sich irgendetwas verklemmt haben musste, nach dem Rechten zu sehen. Die Leine, an der das Segel hängt, war gespannt wie eine Klaviersaite. Carola und ich auf eine ganz andere Art angespannt. Es ist kein Spaziergang, bei diesen Bedingungen auf 20m Höhe, Kirchturmhöhe, herumzukraxeln.
Relax, sagte Denys, der Rigger, der uns schon mit der Orca-Sache aus der Patsche geholfen hatte. Relax. What a smart guy. Er kam, zusammen mit seiner Frau Carla, kletterte kurz nach oben und löste die Verklemmung. Danach gab es reichlich Bier zum Sundowner. Und wir haben nebenbei gelernt, wie ein Profi den Mast erklimmt.
Angenehm sind die Vormittage an der Algarve, sonnig und warm. Doch in diesen Tagen, gegen 16 Uhr setzt regelmäßig Nordwind ein. Die Boote in der Marina zerren an den Leinen, der Sand bläst waagrecht über den Strand, die Sonnenhüte der Damen fliegen davon und hinaus aufs Meer. Das ist der Nortada, der, aus dem Azorenhoch geboren, im Sommer warme Luftmassen über der iberischen Halbinsel nach Süden schaufelt, wenn sich die Landmassen während des Tages stark erwärmen. Die Böen können dann mit 25 kt (45 km/h) durch die Marina brausen und wer nicht rechtzeitig angelegt hat, läuft Gefahr, der bunten Touristenschar entlang des Quais ein erstklassiges Hafenkino zu bieten. Rufe werden zu Schreien, Menschen laufen unkoordiniert über Decks, Leinen fallen ins Leere, Fiberglasrümpfe krachen verstörend auf Metall oder Beton.
Wir genießen den Spätnachmittag auf der Liegefläche am Vorschiff, als die Malu an uns vorüberfährt, eine 40 Fuß Segelyacht. Anfangs zu schnell für die Enge des Hafenbeckens. Dann zu langsam. Wir sehen der Crew die Anspannung an. Menschen mit einem Leinenhaufen, zu hoch positionierte Fender, der Skipper am Ruder schwitzt und kommandiert hektisch seine Crew auf dem Boot herum. Eine Jugendliche im Bikini schüttelt genervt den Kopf. Dann ergreift der Wind die Kontrolle über das Boot. Schon treibt der Bug ab und in Richtung einer etwas längeren Yacht, deren massiver Anker wie eine Lanze mit Widerhaken jedem droht, der ihr zu nahe kommt. Der Stress steigt ins Unermessliche. Ein Krachen, ein Schlag, Schreie. Kindergezeter. Vatergebrüll. Das Mädchen schüttelt den Kopf und geht unter Deck. Eine Frau, die ihre Mutter sein könnte, lässt sich kraftlos auf den Kajütaufbau sinken und verbirgt das Gesicht in Händen.
Beide Motoren laufen stabil. Die Steuerung des Bootes mittels asymmetrischem Schub ist möglich. Telefonisch kontaktieren wir Roy, den britischen Mechaniker, der unser Boot regelmäßig betreut. Er lebt an der Algarve und ist unser ‚Single Point of Contact‘ zu allen örtlichen technischen Betrieben. Wir vereinbaren ein zweistufiges Vorgehen:
Externe Hilfe ist zunächst nicht notwendig. Wir fahren jedoch nicht in den nächst bestenHafen (Olhao; uns unbekannte Einfahrt zwischen Sandbänken, reichl. Strömung), sondern in die gut zugängliche Marina Villamoura mit Werftbetrieb in 15sm Entfernung. Treten unterwegs Problme auf, sind wir hier gut versorgt.
Gelingt die Fahrt nach Villamoura problemlos, können wir für den kommenden Tag entscheiden, weitere 20sm nach Portimão zu fahren. Dort ist die ‚Heimatwerft‘ unseres Vertrauens. Dort bekämen wir problemlos und zeitnah technischen Support.
Nachdem wir uns bereits am Ziel der Tagesetappe glaubten, lagen erneut zwei Stunden Fahrt vor uns. Die Dream Chaser lässt sich zwar steuern, aber ohne Autopilot und mit asymmetrischen Schub ist die Sache etwas mühsam. Ein einziges Zick Zack entlang der Küste. Und plötzlich, kurz vor Albufeira, erneut eine Schrecksekunde. Eine Rückenflosse voraus. Drei von rechts.
Zum Glück sind es nur Delfine. Wir können uns heute an ihrem Anblick nicht erfreuen. Zumal wir von einem dritten Boot an diesem Tag wissen, das von Orcas angegriffen wurde und sich mit ebenfalls kaputtem Ruder nach Albufeira gerettet hat. Auch die Delfine haben keine Lust zum Spielen und verschwinden unter dem Boot. Die weitere Fahrt nach Villamoura gelingt problemlos. Wir machen in der Hafeneinfahrt längsseits am Besuchersteg fest. Ich gehe tauchen. Das Wasser ist trüb, aber ich kann erkennen, dass das Steuerbordruder schräg nach außen abgeknickt ist. Backbord scheint das Ruder soweit in Ordnung.
Am 26.06. fahren wir weiter nach Portimão und gehen dort über Nacht in einer Badebucht vor Anker. Am nächsten Morgen fahren wir das letzte Stückchen zur Werft. Um 08:30 Uhr wird die Dream Chaser aus dem Wasser genommen und in die Hände von DM Yachtcare übergeben. Ein portugiesisches Mechanikerteam ist direkt vor Ort und begutachtet den Schaden.
Nach einer ersten Einschätzung lässt sich folgendes sagen: Der sb Ruderschaft aus Stahl ist unmittelbar unterhalb des Rumpfaustritts um ca 20° nach außen verbogen. Das Ruderblatt weist längsseits in der oberen Hälfte tiefe Risse auf. Die Beurteilung, ob die Rumpfdurchführung beschädigt ist, erfordert weitere Untersuchungen. Das bb Ruder ist auf den ersten Blick unbeschädigt. Am bb Propeller fehlt hingegen eine Manschette.
Hey man, sagt Denys, seid froh. Es ist nur ein Materialschaden. Wir packen, verlassen das Boot, nehmen den nächsten Zug nach Faro und fliegen nach Hause.
Wir kamen von der Flussmündung des Guadalquivir und befinden uns am Ende eines langen Tages kurz vor der Einfahrt zur Isla Culatra bei Faro, als unser Blick über Backbord zu einer vierzig Fuß Yacht wandert, die, als würde sie ankern, ohne Segel in der Sonntagssonne auf dem Wasser dümpelt. Ich sehe eine Bewegung an der Wasseroberfläche. Etwas, das aussieht wie ein kurz auftauchender Delfin. Wir sind bei 36°54′ N 007°49′ W. Es ist der 25.06.2023, 16:05 LT, aber was interessiert sich ein Fisch für eine menschengemachte Positionsangabe, für eine Zeit. Kaum eine Minute später taucht der Fisch erneut auf. Er schwimmt in unsere Richtung. Er ist größer als ein Delfin, viel größer, massiger. Seine Finne ist schmal und lang. Ein Schwertwal. Er hält direkt auf uns zu.
Wir kennen Berichte von Walangriffen auf Yachten. Unter Seglern verbreitet sich so etwas schnell. Einer hört was, einer sagt dazu was, ein Dritter erzählt es weiter, ein richtiges vom Hören-sagen ist das. Man kann nichts darauf geben. Dass die Wale zu einer einzigen Rotte gehören und westl. vor Gibraltar ihr Unwesen treiben. Dass sie ihrer Nahrung, den Thunfischschwärmen, folgen; diese wiederum den Sardinen. Wenn die Fischer ihre Sardinennetze leer aus dem Wasser ziehen, weiß man, dass keine Wale in der Nähe sind, erklärte uns Denys, der Rigger. Dass die Wale seit einiger Zeit Boote angreifen, gemeinsam, gezielt. Dass sie sie mitunter schubsen, stoßen, ja sogar drehen, sich bis zu einer Stunde lang einen Spaß daraus machen, Bootsbesatzungen zu erschrecken, wusste einer zu berichten. Vom Hörensagen. Dass das eigentliche Ziel der intelligenten Tiere aber die Ruderblätter der Yachten sind. Dass sie das auch Ihren Jungtieren beibringen. Das Annähern von hinten unten, der pfeilschnelle Vorstoß aus der Tiefe bis kurz unterhalb der Wasseroberfläche, wo sie in einer auslaufenden Bewegung mit einem leichten Kopfstoß das Ruder schubsen. Oder rechtzeitig abbremsen und es mit dem kräftigen Kiefer anknabbern, als wollten sie einen fremden Artgenossen aus ihrem Jagdrevier vertreiben. Ich stelle mir vor wie es sich anfühlt, wenn fünf Tonnen auf ein Ruderblatt treffen. Etwa wie ein Kleinlaster, der mit dreißig Sachen gegen eine offene Autotür fährt. Die Tür wird mit lautem Krachen aus dem Rahmen gerissen, das ganze Auto wackelt. In ein Schiff hingegen, reißt von unten ein Loch.
Wir reagieren sofort: Motoren auf Leerlauf, Autopilot aus, Schwimmwesten an. Gespannte Stille an Bord. Die Dream Chaser plflügt gemütlich durchs Wasser. Bis das Klicken des Funkgeräts die Stille unterbricht. PAN PAN PAN PAN meldet die IMAGINE auf Kanal 16 und bittet um Hilfe. Sie ist manövierunfähig, nachdem sie kurz zuvor vom einem Orca gerammt wurde. Es dauert, die Positionsangabe des Schiffes in Grad und Minute nach Länge und Breite zu begreifen: Die IMAGINE ist das Boot querab von uns, keine halbe Meile entfernt, und noch während ich dabei bin, das zu verstehen, sehe ich den Wal erneut, nur wenige Bootslängen querab. Er hat ein Ziel. An Bord bleibt es still. Meine Frau steht am Ruder. Ich sehe sie nicht, weiß nicht, was jetzt in ihr vorgeht. Ich gehe vorsichtig in Richtung Reling, halte mich an einem Gestänge fest. Halte mich fest, bis die Hand im Krampf schmerzt. Ich gehe zur Reling gegenüber. Sanft schlägt das Wasser der Algarve gegen den Rumpf. Das müsste es für uns gewesen sein. Ein dumpfer Schlag trifft den Rumpf. Und kurz darauf sehe ich unseren Moby Dick auf der anderen Seite des Schiffes auf- und wieder abtauchen. Es bleibt still an Bord. Ein zweiter Schlag lässt den Rumpf beben. Ich suche den Blick meiner Frau. Er ist frei von Angst. Nach einer weiteren, einer ewigen Minute traue ich mich erneut, zu glauben, zu hoffen, dass es das gewesen ist. Ich greife zum Funkgerät und rufe die IMAGINE. Wir bieten unsere Hilfe an, sobald der Orca verschwunden ist. Meine Frau legt langsam beide Gashebel nach vorn und will das Steuerrad nach links drehen. Doch es bewegt sich nicht. Das Ruder sitzt fest.