„Da“, ruft jemand an Bord aufgeregt und zeigt in die Ferne. „Delfine“. Alle sehen in die Richtung der Vermuteten, die auf wundersame Weise immer wieder die Herzen der Menschen erfreuen. Es könnten indessen auch junge Orcas sein. Aus der Ferne ist das nicht so leicht zu unterscheiden, wenn nur eine Rückenflosse über die Wasseroberfläche gleitet. Bei jeder solchen Sichtung jagt mir das Adrenalin ins Blut, bis Klarheit herrscht. Wo Delfine sind, gibt es keine Orcas, sagt man. Erstere machen einen großen Bogen um ihre größeren und mindestens genauso schlauen Artverwandten. Das wäre dann eine gute Nachricht. Im Juli war es erstaunlich ruhig an der Algarve und seit Anfang August gab es hier erst eine Sichtung von Schwertwalen. Die Tiere konzentrieren sich derzeit auf den westlichen Zugang von Gibraltar. Immerhin, auch diese Beobachtung entspannt ein wenig. Das Phänomen Orca-Attacken beschäftigt die Menschen auch in 2024.
Auf dem Weg zum Werftshop, so eine Art Baumarkt für Bootsfahrer, sah ich, aufgebockt zwischen anderen Yachten, ein kleines Kajütboot, gebaut durchaus für mehrtägige Törns auf dem Meer. Und davon hat es dem Anschein nach schon einige hinter sich. Aufgebockt zwischen anderen Yachten stand es da. Deutlich die Gebrauchsspuren und das Alter von Rigg und Rumpf. Der neue Unterwasseranstrich fällt indessen auf. Und das Ruderblatt. Es ist mit einem Gruß an die Orcas versehen: PLAY WiTH DOLPHiNS Schön, dass sich der Segler seinen Humor bewährt hat.
Wie schwer es doch fällt loszulassen. „Wir müssen besprechen, wann ich im kommenden Jahr aufhöre zu arbeiten“, sagt sie. Im kommenden Jahr? Nein. Jetzt; jetzt ist der Zeitpunkt aufzuhören. Du bist ja schon dabei. Du weißt nur noch nicht, wie du es anstellen sollst. Wir sind längst unterwegs, sind bestens vorbereitet, haben das Boot zu unserem gemacht, und in drei Monaten setzen wir endgültig die Segel und verlassen den Ort am südwestlichen Zipfel von Europa, der für die meisten Segler nur ein Ankommen oder Ablegen markiert auf ihrem Weg über den Atlantik, für uns aber bereits zur Heimat zu werden beginnt. Wir segeln in die entgegengesetzte Richtung, zwischen den Säulen des Herakles hindurch, hinein in das Meer der alten Welt, die für uns eine neue sein wird. Loslassen. Jetzt.
Es gibt sie noch, die Orte, an denen die Welt ihren gewohnten Gang geht. Die kleinen verschlafenen Nester, in denen das Leben am Morgen seinen gewohnten Gang geht. Fischer, die gleichmütig ihre Netze reparieren. Leute beim Bäcker, aus dessen Stube es herrlich nach Frischem duftet. Einheimische, die vor einer Hauswand auf einer Bank sitzen oder an den Lampenmast gelehnt auf den Bus warten.
Ok, ich gebe zu, wir haben da ein wenig nachgeholfen. Mit freundlicher Unterstützung der Paltenfamilie aus Neuseeland. 😉
Sonnenaufgang hinter der Lagune, klarer Himmel. Das Versprechen eines wundervollen Tages. Wir sind früh aufgestanden. Jeder einen starken Kaffee, ein kurzes Briefing zum Ablauf der bekannt heiklen Ausfahrt mit starker Strömung, engen Durchfahrten, Wirbeln im Wasser; danach die Vorbereitungen zum Ablegen. Reine Routine. Checkliste lesen, Start the Engines…
Die Fahrt durch die Lagune entlang des betonnten Fahrwassers verläuft problemlos. Die starke Strömung schiebt uns förmlich des Ausfahrt entgegen. Alles scheint gut. Doch dann sehen wir von weitem eine weiße Wand in Bewegung. Die Dünung des offenen Meers. Sie knallt auf die aus der Lagune auslaufenden Wassermassen wie gegen eine Mauer und steigt in wildem Getöse empor. Drei, vier Meter hoch türmt sich das Meer und als wir hineingeraten, wird unser kleines Boot heftig geschüttelt. Die Kühlschränke springen auf und wieder zu, Tassen und Gläser hüpfen aus der Spüle, eine nicht sicher verstaute Tischlampe geht über Bord und wir müssen uns festhalten, um nicht umzufallen. Die Dream Chaser durchpflügt rollend und gierend einen brodelnden Kochtopf. Zwei, drei Minuten lang geht das so und ich frage mich, wie mir das passieren konnte, mich derart überraschen zu lassen. Immerhin, Steuermann Mike führt das Boot sicher durch die Strudel und den Sturm im Wasser in ruhigere Gefilde, und wenn ich das richtig in seinem Gesicht gesehen habe, hatte er sogar Spaß an dieser Herausforderung.
Die Sonne scheint, der Wind bläst mit Stärke fünf aus Ost, wir setzen Segel und nehmen Kurs auf Portimao.
Strudel @ Culatra EntryCulatra TransitCulatra Exit, 09. MAI
Ihr Lieben, ich wünsche euch ein glückliches und gesundes 2024.
Coronainfektionen gehören mittlerweile leider zum Alltag, aber wer möchte aufgrund dessen nach einem 7-tägigen Hausarrest über Weihnachten nicht gerne wieder an die frische Luft? Am besten gleich auf’s Wasser. Gesagt-getan, aber von einem Beinbruch war nicht die Rede.
Eine schöne Neujahrsausfahrt in trauter Zweisamkeit auf unserer Dream Chaser, 2 Nächte im Hafen von Vilamoura. Tolles live concert inkl. Feuerwerk am Strand von Quarteira. Was will man mehr? Ein super Start ins Neue Jahr, so zumindest fühlte es sich bis zum Nachmittag an. Wir waren kurz vor Lagos, unserem derzeitigen Heimathafen. Es gab noch zwei Fender umzusetzen. Welch Kinderspiel; kein Wind, nur leichte Welle und die Segelschuhe hatte ich tatsächlich auch brav an. Auf dem Weg vom Heck zum Bug stolpere ich an Deck, versuche mich von der Reling weggerichtet mit dem linken Bein abzufangen und falle der Länge nach hin. Es ging alles so schnell, dass ich es gar nicht mehr genau nachvollziehen kann. Es muss die Kante am Fensterrahmen gewesen sein.
Portugiesische Hospitäler sind ziemlich effizient, habe ich feststellen müssen. Leider handelt es sich nicht um lediglich eine Bänderdehnung oder Verstauchung, wie gehofft, sondern, gleich mal wieder in die Vollen; Wadenbeinbruch und Bruch der Großzehe. Die BG Unfallklinik kennt sich mit meinen Beinen ja bereits aus.
Das Jahr hat dann doch nicht so schlecht begonnen; wir starten mit konservativer Therapie und können wahrscheinlich auf eine OP verzichten.
Und nach hoffentlich schneller Genesung geht’s bei nächster Gelegenheit gleich wieder auf die Dream Chaser.
Danke Dir, mein Schatz, für Deine Liebe, Deine Fürsorge und Geduld!
Zwei Tage entspannt die Küste entlangsegeln, den Jahreswechsel mit den Portugiesen am Strand von Quarteira begehen, Vergangenes hinter sich lassen und Neuem freudig begegnen. So haben wir uns das gedacht. Das Meer für uns allein, kaum ein Boot unterwegs. Eine Delfinfamilie mit mehreren Jungen in Spiellaune begleitet uns. Sie gleiten mit, kreuzen vor dem Bug, führen Luftsprünge vor, als wollten sie uns grüßen.
Auf dem Heimweg an Neujahr, der Hafen bereits in Sichtweise, stolpert Carola und knallt auf’s Deck. Ihr Kreislauf sackt weg, sie bleibt liegen. Ein Knöchel wird dicker und dicker.
Zweiter Januar. Notaufnahme des Krankenhauses in Alvor. Die junge Ärztin diagnostiziert eine Bänderdehnung, während ich im übervollen Wartebereich ausharre, eine Stunde, eine zweite. Eine Röntgenaufnahme, zur Sicherheit, regt die Doktorin an. So sei es.
Die Schiebetür zur Notaufnahne öffnet und schließt lautlos. Malade Menschen gehen hinein, kommen heraus. Doch manche kommen nicht wieder heraus. Ich ertappe mich in Gedanken: Was würde ich tun, wenn Carola nicht mehr heraus käme?
Ich schreibe ihr eine Nachricht. Doch sie läuft in der Umhängetasche meiner Frau, die ich bei mir habe, ins Leere. Ich stelle mich an die Tür, bis eine Ärztin auftaucht. Doch die zuckt nur mit den Schultern, als ich ihr den Namen der Vermissten nenne. Irgendwann kommt Personal, das ich zuvor uniform gesehen habe, in privaten Klamotten aus der Notaufnahne und verlässt das Gebäude. Die Leute, die um mich herum sitzen, sind andere als noch vor zwei Stunden, auch die Gesichter des Personals. Niemand kennt mein Frau, niemand hat sie gesehen, ihr Name steht auf keinem Papier. Und dann, endlich – mittlerweile sind drei Stunden vergangen -, steht sie in der Tür. Sie hat eine Aufnahme in der Hand, die sie mir frustriert hinhält. Die Wade. Ein glatter Durchbruch, das sehe selbst ich sofort. Und ein gebrochener Zeh.