Den Satz habe ich schon einmal gehört, in ganz anderem Zusammenhang, aber nichts trifft die letzten Tage besser als dieser Spruch. Vor drei Wochen noch schien alles perfekt vorbereitet. Wir wollten nur noch die Leinen loswerfen und uns unserem Abschiedsschmerz hingeben.
Von wegen. Das stürmische Wetter vom Atlantik her hält uns fünf lange Tage im Hafen. Das von den Bergen herunter gespülte Wasser so kaffeebraun, dass man die Hand vor Augen darin nicht sehen kann. Wozu auch, werdet Ihr Euch fragen. Die Anwort ist: Unsere Opferanoden an den Propellern sind hinüber. Freund und Taucher Roy will sie seit drei Wochen erneuern. Aber wie zum Teufel verschraubt man sechs Zinkbögen, wenn man in Milchkaffee taucht? Wir entscheiden uns dennoch, Lagos zu verlassen und in der Bucht von Ferragudo vor Anker zu gehen. Dort ist die Wasserfarbe etwas durchlässiger. Ich kann Roy mit dem Dinghy in der Marina Portimao abholen…
Um es kurz zu machen: Der Job, eine Art Mission Impossible für mich, ä gelingt später. Roy, dieser Teufelskerl! Auch das erneute Durchstechen der neuen Muschelkolonien im Kühlwassereinlass der Motoren ist nötig.. Sie waren schon wieder verstopft. Was werden wir nur ohne Roy machen!
Als wir endlich loswollen, verweigert die Marina das Öffnen der Brücke. Die Abschlussrechnung müsse noch beglichen werden. Sie haben doch vor drei Tagen gesagt, die käme per Mail wie immer, wende ich ein. Das war wohl meine Kollegin, die Anwort. Ich lasse Sie hier nicht raus, bevor sie nicht bezahlt haben!
Ich gehe also unter Deck und mache eine Überweisung. Die romantische Vorstellung einer letzten Ausfahrt ist dahin. Lagos scheint uns ohnehin nicht loslassen zu wollen. Are you sure you wann leave today?, fragt Skipper Simon und schiebt hinterher It’s 28 knots wind out there. 55km/h. Yes we are!
Die Leinen sind los, die Bootsnachbarn winken, die Brücke öffnet sich ein letztes Mal für uns. Ich muss dann doch schlucken, aber mehr als zurück auf die sich hinter uns schließende Brücke, geht der Blick jetzt nach vorn.
Wir schaffen es an diesem Tag noch bis Vilamoura und bleiben über Nacht am Guest Pontoon der Marina, finden ein nettes Fischrestaurant und freuen uns auf vorzügliches Essen. Ich spüre beim obligatorischen Brot vorab etwas Hartes im Mund. Es ist die Krone meines Backenzahns. Samstag Abend, halb neun Uhr.
Wir fahren im rechten Winkel auf den Strand auf, sagt der Mann am Motor. Der zuvorderst sitzt springt dann samt Bootsleine an Land und hält das Dinghi gerade, damit alle anderen nach und nach, aber zügig über den Bug aussteigen können. Um die Schuhe im Boot kümmern wir uns zuletzt. Dies die Regieanweisungen für die Besatzung; alle sollen möglichst trocken an Land kommen.
Langsam, aus Sicht des Bootsführers mit der richtigen Geschwindigkeit, nähern sie sich dem Strand auf wenige Meter wie einst die Alliierten in der Normandie, mit einem ähnlichen Bewusstsein womöglich, nämlich den Strandabschnitt für sich zu erobern, gegen einen unsichtbaren inneren Feind, wer weiß. Angespannte Konzentration auch jetzt an Bord. Der Frontmann erhebt sich und setzt zum Sprung an, als eine kleine Welle das Boot von hinten erfasst und gegen den Strand drückt. Das wirkt wie ein Katapult. Man sieht ihn abheben, ein kleiner Flug regelrecht, die Landung im Nassen auf allen Vieren. Worauf die nachfolgende Person, es ist die Frau des Skippers, stockt, stehenbleibt, auch auf die Zurufe ihres Mannes nicht reagiert, die Idee des trockenen Manövers schon in Gefahr, bis eine weitere Welle von hinten sie endgültig zunichte macht, sich am Spiegel des Beibootes bricht und den Steuermann überschüttet wie ein Kübel Wasser. Erst danach setzt die Frau an der Reihe zum Sprung an Land an. Von trocken kann jetzt gar keine Rede mehr sein. Die Flut umspült das Boot weiter, niemand schafft es trockenen Fußes an Land.
Es gibt sie noch, die Orte, an denen die Welt ihren gewohnten Gang geht. Die kleinen verschlafenen Nester, in denen das Leben am Morgen seinen gewohnten Gang geht. Fischer, die gleichmütig ihre Netze reparieren. Leute beim Bäcker, aus dessen Stube es herrlich nach Frischem duftet. Einheimische, die vor einer Hauswand auf einer Bank sitzen oder an den Lampenmast gelehnt auf den Bus warten.
Ok, ich gebe zu, wir haben da ein wenig nachgeholfen. Mit freundlicher Unterstützung der Paltenfamilie aus Neuseeland. 😉
Vier Mann auf einem Boot. Wenn alte Schulkameraden sich nach langer Zeit wieder treffen und etwas zusammen unternehmen. Vatertag mit einem ‚Leiterwägele‘ der besonderen Art.
Man mag es nennen, wie man will. Es ist jedenfalls eine Zusammenkunft, die auf gegenseitiger Sympathie und Anteilnahme beruht, man nimmt gegenseitig Rücksicht an Bord, vertraut sich, wenn es gilt, am Ende freut man sich gemeinsam über das Erlebte. Und all das geht mit einer Leichtigkeit, dass man darüber nur staunen kann. Das müssen Freunde sein. Und es tut gut zu wissen, dass man welche hat, wenn man unterwegs ist.
Sonnenaufgang hinter der Lagune, klarer Himmel. Das Versprechen eines wundervollen Tages. Wir sind früh aufgestanden. Jeder einen starken Kaffee, ein kurzes Briefing zum Ablauf der bekannt heiklen Ausfahrt mit starker Strömung, engen Durchfahrten, Wirbeln im Wasser; danach die Vorbereitungen zum Ablegen. Reine Routine. Checkliste lesen, Start the Engines…
Die Fahrt durch die Lagune entlang des betonnten Fahrwassers verläuft problemlos. Die starke Strömung schiebt uns förmlich des Ausfahrt entgegen. Alles scheint gut. Doch dann sehen wir von weitem eine weiße Wand in Bewegung. Die Dünung des offenen Meers. Sie knallt auf die aus der Lagune auslaufenden Wassermassen wie gegen eine Mauer und steigt in wildem Getöse empor. Drei, vier Meter hoch türmt sich das Meer und als wir hineingeraten, wird unser kleines Boot heftig geschüttelt. Die Kühlschränke springen auf und wieder zu, Tassen und Gläser hüpfen aus der Spüle, eine nicht sicher verstaute Tischlampe geht über Bord und wir müssen uns festhalten, um nicht umzufallen. Die Dream Chaser durchpflügt rollend und gierend einen brodelnden Kochtopf. Zwei, drei Minuten lang geht das so und ich frage mich, wie mir das passieren konnte, mich derart überraschen zu lassen. Immerhin, Steuermann Mike führt das Boot sicher durch die Strudel und den Sturm im Wasser in ruhigere Gefilde, und wenn ich das richtig in seinem Gesicht gesehen habe, hatte er sogar Spaß an dieser Herausforderung.
Die Sonne scheint, der Wind bläst mit Stärke fünf aus Ost, wir setzen Segel und nehmen Kurs auf Portimao.
Strudel @ Culatra EntryCulatra TransitCulatra Exit, 09. MAI
Was hat eine Fuballmannschaft an Bord eines kleinen Segelschiffes verloren, fragt man sich, als die Truppe in Portimao zusteigt, plus Schiedsrichter und dreijährigem Fan. Nichts, könnte man meinen, und läge schon einige Stunden später am Nachmittag, vor Anker und beeindruckender Kulisse, völlig daneben. Der Abschluss eines Turniers muss gefeiert werden, so oder so, und das tun die Cargo Bulls. Bei uns. Zwanzig Mann auf der Kiste und eine Buddel voll Rum. Eine kleine Ausfahrt, arrangiert von Cpt. Matthi M., ein lieber Kollege, man kennt sich, man schätzt sich. Die örtlichen Grotten und Strände Ende April noch nahezu unberührt und als wir auf dem Rückweg am Castelo de São João do Arade in Ferragudo vorbeifahren, sehe ich nur strahlende Gesichter. Zum Abschied rufen sie uns ihren Schlachtruf nach, der ganze Steg in Aufruhr. Und wir haben Gänsehaut.