Sevilla, die Stadt am Guadalquivir, ist eine Perle. Man kann die hundert Kilometer von der Flussmündung am Atlantik bis hierher mit dem Schiif befahren. Die Altstadt, die sich von einer Flussbiegung aus östlich an ihre Lebensader schmiegt, ist voller Schätze und Reichtümer. In ihren engen und verwinkelten Gassen pulsiert das Leben wie ein starkes Herz, das auf die ganze Region kraftvoll ausstrahlt. Und auf die Menschen, die sie besuchen.
In einem Gässchen des Stadtteils Triana, ganz in der Nähe des Wochenmarktes kamen wir nach einem langen hitzigen Tag in einem einfachen Café zu sitzen, bestellten etwas iberischen Schinken und Manchegokäse zu einem Glas kühlen Rosé, als aus einer Ecke des Raumes Gitarrenmusik erklang. Wir lauschten den Tonfolgen und Akkorden, die nicht unfröhlich, aber von einer tiefen Trauer getragen schienen. Vereinzelt stimmten in die Laute umsitzende Einheimischer mit kehligen Lauten ein, als kommentierten sie die Musik, mal zustimmend, mal wehklagend. Zwei, drei jüngere Männer fingen an, die Musik durch rhythmisches Klatschen der Hände zu begleiten und sie durch das schnelle Aufstampen mit den Absätzen ihrer Schuhe regelrecht Feuer an sie zu legen. Einer der Männer begann schließlich zu singen. Ich verstand ihn nicht, es konnte sich aber um nichts anderes handeln als um die Sehnsucht nach einer unerreichbaren Frau. Ihre Abwesenheit war förmlich spürbar. Umso größer unsere Verwunderung, als kurz darauf eine Tür aufging, die wir bis dahin nicht bemerkt hatten. Aus ihr trat eine Frau mit stolzen, kunstvoll gesetzten Schritten und von so farbenfroher Pracht, als käme ein Flamingo herein. Sie stimmte in das Klappern und Klatschen der Männer ein, steigerte dies nochmal durch die pure Kraft in ihren Beinen, und begann, schnelle, immer schnellere Drehungen auf der Bühne zu vollführen, bis ihr gepunktetes Kleid in einen einzigen Flamencowirbel verschwamm und das Publikum vollends mitriss. Eine Darbietung wie ein gewaltiges Naturereignis. Spontan und überwältigend. Und wir mittendrin. Kann es so etwas geben? Oder käme sogleich der Krüppel aus einer weiteren Ecke, um, in einer schrecklichen Vermengung von Faszination, Abstoßung und Mitleid seinen Hut von den zahlungskräftigen Touristen auf das Effizenteste befüllt zu sehen?

Im größten, das Publikum mitreißenden Schwung, sah ich einen kleinen Gegestand, der sich aus dem Gewirbel wie ein Funken löste und in einem Bogen, der seiner Physik entsprach, unter einen Blumentopf rutschte. Niemand außer mir schien den Vorgang zu bemerken, nicht einmal die Bailaora, die Tänzerin selbst. Der Tanz nahm seinen unvermeidlichen Verlauf, einer der Männer trat auf die Bühne und warb mittels Stierkämpferposen um die Gunst der Bailaora, die sich zierte. Ich betrachtete derweil das Schmuckstück. Eine schwarze Perle, in Silber gefasst. Es lag verwaist wie der Schuh eines Aschenputtel. Noch im Halbdunkel ging ein feiner Glanz von ihm aus, der einen Betrachter magisch anzieht.

Währenddessen kündete tosender Beifall vom Ende der Darbietung. Musikanten und Tänzer traten gemeinsam vor, um sich beim Publikum für dessen Aufmerksamkeit zu bedanken. Die Bailaora verneigte sich tief. Ich erhob mich blitzschnell, griff unter dem Blumentopf nach dem Schmuckstück, wagte mich gebückt bis an das Fußende der Bühne heran, griff vorsichtig nach der offenen Hand der flammenden Frau und legte sogleich das Schmuckstück hinein. Die Bailora, die spanischer nicht hätte sein können, bebte vor Überhitzung und sah zu mir auf. Dann sagte sie in einem Deutsch, das klarer nicht hätte sein können: Danke.

Last Updated on 29. June 2023 by KMF

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Segler, Autor

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