Ibiza ist die Insel der Partypeople. Jedes Jahr legen hier angesagte DJs in bekannten Clubs auf. Der Style der Ibizagirls ist ein eigener, und deren Tänze zum Sonnenuntergang haben die Musik des Café del Mar inspiriert, das an der Westküste der Insel einige Berühmtheit erlangt hat. Für Segler ist die Insel ein Paradies aus kleinen Buchten mit türkisfarbenen Stränden. Es gibt für mich kaum etwas Schöneres, als nach einem Tag auf See in einer solchen Bucht bei kristallklarem Wasser den Anker zu setzen und nach getaner Arbeit ein kühles Bier zu öffnen. Einen Anleger nennen wir das, und er schmeckt am besten mit Freunden, wie gestern, als wir in Benirras einliefen. Am Eingang der Bucht thront ein Felsen, in dem manche ein aneinander gelehntes Pärchen erkennen wollen. Wagemutige klettern auf einen kleinen Absatz in zehn Meter Höhe und springen von dort übermütig ins Meer. Es ist ein magischer Ort. Er hat in den Zeiten des Flowerpower die Hippies angezogen und mache von ihnen sind geblieben. Bis zum heutigen Tag. Sie treffen sich abends am Strand mit ihren Bongos und begleiten die untergehende Sonne mit ihren Rhythmen.
Donnerstag, 12:00 Uhr, vor dem Tor de Apostel der Kathedrale von Valencia. Acht Landwirte in schwarzen Blusen sitzen im Halbkreis und beprechen sich in valencianischer Sprache. In Albufera, der Lagune vor der Stadt, ist man sich uneins über die Bewässerung der Reisfelder. Das Wetter spielt seit einigen Jahren verrückt. Es ist ein ständiges Zuviel oder Zuwenig an Wasser, mit dem die Bauern zu kämpfen haben. Zuletzt kam es sogar den Berg herunter und überschwemmte das Land mit allem denkbaren Unrat. Die Männer im Halbkreis urteilen, richten, schlichten und sprechen Recht. Das gilt und ist nicht zu berufen. Sie tun das seit mehr als tausend Jahren, haben es von den Mauren gelernt, als die ihre Heimat beherrschten.
Wir sind am Morgen aua Denia angereist, wo unser Boot sicher im Hafen liegt. Der Aufenthalt in Valencia ist eine Einladung von Freunden von Freunden, die hier leben. Die zwei Tage, die wir hier haben, sind viel zu kurz, diese bunte und vielfältige Stadt kennenzulernen, in der mir vor allem der starke Kontrast der Archtektur aus alt und neu ins Auge sticht. Auf der einen Seite der Plaza del Ayunamiento (Rathausplatz) oder der Mercado Central mit gut erhaltenen Gebäuden aus der Gründerzeit oder im Jugendstil, auf der anderen Seite die gigantische Anlage im trocken gelegten Flussbett der Stadt, wo sich der Architekt Santiago Calatrava ein Denkmal aus Opernhaus, Museum und Open Air- Bühne und Brücke gesetzt hat. Südlich der Stadt liegt das größte Reisanbaugebiet Europas. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem sorgt dafür, dass die Felder gleichmäßig mit der wertvollen Ressource versorgt wird, und das Ergebnis konnten wir gleich vor Ort genießen, in einem der lokalen Restaurants in der Lagune, wo die Einheimischen am Sonntag Nachmittag mit ihren Familien Essen gehen. Hier dreht sich alles um die Arrozes, die Reisgerichte aus dem großen Gusseisenpfannen, wahlweise mit Huhn und Kaninchen oder Früchten aus dem Meer. Aber nie gemischt. So etwas machen nur Touristen. Die Arrozes werden nachmittags gegessen, damit der Körper noch ausreichend Zeit hat zu verdauen. Der Reis ernährt die Menschen in der ganzen Region und darüber hinaus.
Ich stehe auf dem Platz vor der Kathedrale und male mir aus, was geschähe, wenn die Valencianer das Wassergericht, dieses Ritual aus alten Zeiten abschafften. Wenn die Leute immer mehr der Meinung wären, dass dieses Althergebrachte überflüssig sei, dass es ohne es ginge, seit ein Computer die Steuerung übernommen hat, dass in Zukunft die Künstliche Intelligenz alles regeln werde. Überhaupt, warum noch Gerichte? Dieser Wust an Regeln, der alles nur behindert. Wie überhaupt die Bürokratie alles behindert, die Freiheit der Menschen unnötig einschränkt. Ein Leben ganz ohne staatliche Eingriffe, das ja anfällig für Korruption ist, im Grunde ohnehin das bessere Leben. Ideen, von denen dieser Tage wieder manch einer träumt. Träumt weiter, denke ich und öffne die Einkaufstüte aus der alten Markthalle ein wenig. Ein herrlich süßer Duft von frischen Erdbeeren steigt mir in die Nase.
Ein jeder Handwerker, ob Profi oder Hobbyist, kennt ihn, den Schmierstoff für alles was klemmt, hakt, qietscht oder ungängig ist.
Cartagena Hafen – wir liegen für ein paar Tage länger als geplant vor Ort aufgrund von Er-satz-teil-be-schaf-fungs-mass-nahmen. Es zieht sich in die Länge, wie das Wort.
Neben uns liegt eine 12 Meter Segelyacht ‚Bavaria 42‘, bewohnt von einem netten Spanier und seiner Freundin. Sein Bonsai und weiteres Grünzeug an Deck pflegt er täglich liebevoll, zupft welke Blätter aus der Pracht und wässert die Töpfe regelmäßig.
Tagsüber herrscht reges Treiben im größten Wirtschafts- und Militärhafen Spaniens. Am Abend kehrt mit der untergehenden Sonne vermeintlich Ruhe ein und die Boote schaukeln im dunklen Wasser leicht auf und ab.
Es fühlt sich an wie Urlaub, wäre da nicht das monotone uiiek-grrch – uiiek-grrcĥ, das alle drei Sekunden vom Nachbarboot herübertönt.
Es nervt. Man zählt förmlich die Sekunden bis zum nächsten ‚Unton‘, den die metallene Spiralfeder, befestigt an der Heckleine der ‚Bavaria 42‘ von sich gibt. Zumindest hält die Leine das Boot im Hafen fest.
Ich sehe den Gedankenblitz in Klaus‘ Augen, als er die WD-40 Sprühdose aus dem Werkzeugkasten zaubert und mit dieser hinter seinem Rücken auf unser Nachbarboot über den Steg zusteuert, sich noch einmal vorsichtig umschaut, nach vorne beugt und dem Corpus delicti mit drei Pumpstössen aus der WD-40 Dose paroli bietet.
Wir erreichen Almerimar am Fuße der schneebedeckten Sierra Nevada, der letzte Stop an der Costa del Sol. Inmitten einem Meer aus Gewächshäusern hat sich ein Marinadorf gebildet, das eine Menge Yachties anzieht, vermutlich wegen des milden Klimas und der bezahlbaren Preise. Was für Gemüse gut ist, kann für den Menschen nicht schlecht sein. Als wir am Kopfende des Stegs anlegen, beginnt die abendliche Yogastunde.
Auf dem breiten Betonsteg herrscht überhaupt ein geschäftigens Treiben. Überall liegen Beiboote an Land, Fahrräder und Schläuche. Es wird geschraubt, gehämmert, gesägt, Wäsche hängt zwischen den Wänden. Die Rümpfe vieler Boote sind veralgt. Auf vielen Achterdecks stehen Pflanztöpfe wie auf Balkonen von Mietshäusern. Kräuter, Gemüse, Kakteen, ein Gummibaum. Auf einem Balkon steht ein Gedeck aus Rum, Cola und diversen Gläsern. Vor einem weiteren steht eine junge Raucherin samt aschender Fluppe. Was an ihrem fettigem Haar zu lang ist, gleicht sie mit zu kurzem Kleid aus. Ihre Schlappen sind ausgelatscht. Sie unterhält sich auf deutsch mit einem Balkonnachbarn, der aussieht wie eine Schwangere. Etwas in mir will laut aufschreien.
Wir gehen von Bord und werden sogleich von einer älteren Frau mit Hund auf deutsch angesprochen. Sie komme vom Katamaran ihres Sohnes gegenüber und sei auf dem Weg nach Hause, einige Liegeplätze weiter, das kleine Kajütboot, das sie günstig vor zwei Jahren übernommen habe und seither bewohne. Wie lange wir bleiben, will sie wissen. Nur eine Nacht? Ach so. Sie selbst bleibe auf Dauer, nachdem der Sohn hier vor kurzem eine Autolackiererei eröffnet habe, lässt sie uns ungefragt wisen. Es lebe sich auf dem Steg besser als in der Reihenhaussiedlung bei Inzighofen, wo sie früher gelebt habe. Wir begleiten sie auf ihrem Weg, der Rauhhaardackel folgt bei Fuß. Er ist hier zu Hause und will schließlich von Frauchen über die Planke an Bord gebracht werden. Die sesshafte Nomadin verabschiedet sich, wünscht uns eine gute Reise und verschwindet zwischen ihren Topfpflanzen im Inneren des in Polen registrierten Schiffes.
Seit längerem schon haben wir den Verdacht, dass man nicht will, dass wir Lagos verlassen. Die verstopften Kühlwassereinlässe, das Verweigern des Öffnens der Brücke, das garstige Wetter, der kaputte Zahn, usw. Aber jetzt, kurz vor dem Tor ins Mare Nostrum, haben wir den endgültigen Beweis. Vor Trafalgar erreicht uns die Nachricht, dass Orcas gesichtet wurden. Heute Morgen dichter Nebel vor der Hafenausfahrt vor Barbate, und als wir den Weg heraus gefunden haben, steht vor uns die spanische Armada, ein Verband von neun Kriegsschiffen, und sie rufen über Kanal 16 ‚Stay away‘ oder so ähnlich, Abstand halten! Sie haben die Kontrolle über die Meerenge und wollen nicht, dass die Dream Chaser sich davonmacht. Ha, aber die kennen Penelope nicht, wenn sie sich was in den Kopf gesetzt hat, bereits die Situation im Mittelmeer auskundschaftet, die Versorgungslage in Sottogrande, das Wetter dort: 22°, Sonne. Da fahren wir hin, sagt sie.
Oktober 1805. Napoleons Flotte, vereint mit der Spanischen, will von Cadiz aus Truppen ins Mittelmeer verlegen. Doch die Briten haben da auch ein Wörtchen mitzureden, sehen sich von dem französischen Herrscher in ihrer Sicherheit bedroht und schicken Vizeadmiral Nelson, um das Unternehmen zu vereiteln. Es folgt die Mutter aller Seeschlachten…
Wir durchquerten das Kap vor dem ehemaligen Schlachtfeld am Vortag noch bei bestem Wetter. In der Ferne wird der Fels von Gibraltar von einer Wolke umspielt, im Süden sehen wir die Berge von Afrika. Doch jetzt schleichen wir im Versuch, alles Feindliche von uns fernzuhalten, an der Küste entlang nach Süden, zwischen Untiefen, Wracks und Fischernetzen hindurch, den Fels von Tarifa bereits in Sicht.
Portugal und Spanien trennt von Süd nach Nord ein Fluss. Wir fahren den Guardiana ein paar Meilen entlang bis zum Städtchen Ayamonte. Dort gibt es eine kleine Marina, die pittoreske Altstadt ganz in der Nähe, vor allem aber eine Clinic Dental. Ich habe die unbeschädigte Krone wieder auf den Rumpf des Backenzahns setzen können, achte seit zwei Tagen darauf, dass sie drauf bleibt und rufe mir schon mal die passenden spanischen Begriffe in Erinnerung. Corona, abajo, ultimo a la derecha, necessito pegamento. Und dann stehe ich als Erster am Montag Morgen vor dem Gebäude, noch vor der Öffnung, um unsere Weiterfahrt möglichst nicht zu gefährden. Kurz vor zehn kommt eine junge spanische Frau auf mich zu. Sie geht mit der Mode, trägt eine große Handtasche über der Schulter und hat ihr schwarzes Haar glatt nach hinten weggebunden. Sie bleibt vor mir stehen und schenkt mir ein Lächeln aus roten Lippen. Es ist die Zahnärztin. Meine Retterin, die Retterin unseres ganzen Tages. Kaum dreißig Minuten später verlasse ich ihre Praxis wieder. Die Krone sitzt. Carola legt ab. Kurs auf Huelva.