Operation ‚WD-40‘

Operation ‚WD-40‘

Ein jeder Handwerker, ob Profi oder Hobbyist, kennt ihn, den Schmierstoff für alles was klemmt, hakt, qietscht oder ungängig ist.

Cartagena Hafen – wir liegen für ein paar Tage länger als geplant vor Ort aufgrund von Er-satz-teil-be-schaf-fungs-mass-nahmen.  Es zieht sich in die Länge, wie das Wort.

Neben uns liegt eine 12 Meter Segelyacht ‚Bavaria 42‘, bewohnt von einem netten Spanier und seiner Freundin.  Sein Bonsai und weiteres Grünzeug an Deck pflegt er täglich liebevoll, zupft welke Blätter aus der Pracht und wässert die Töpfe regelmäßig. 

Tagsüber herrscht reges Treiben im größten Wirtschafts- und Militärhafen Spaniens. Am Abend kehrt mit der untergehenden Sonne vermeintlich Ruhe ein und die Boote schaukeln im dunklen Wasser leicht auf und ab.

Es fühlt sich an wie Urlaub, wäre da nicht das monotone uiiek-grrch – uiiek-grrcĥ,  das alle drei Sekunden vom Nachbarboot herübertönt.

Es nervt. Man zählt förmlich die Sekunden bis zum nächsten ‚Unton‘, den die metallene Spiralfeder, befestigt an der Heckleine der ‚Bavaria 42‘ von sich gibt. Zumindest hält die Leine das Boot im Hafen fest.

Ich sehe den Gedankenblitz in Klaus‘ Augen, als er die WD-40 Sprühdose aus dem Werkzeugkasten zaubert und mit dieser hinter seinem Rücken auf unser Nachbarboot über den Steg zusteuert, sich noch einmal vorsichtig umschaut, nach vorne beugt und dem Corpus delicti mit drei Pumpstössen aus der WD-40 Dose paroli bietet.

Eins-zwei-drei, nun ist der Quietsch vorbei.

Im Hafen ist Ruhe eingekehrt.

Die Leinen sind los

Die Leinen sind los

„Marina de Lagos – Marina de Lagos – This is SY Dream Chaser – Come in please – over“

Die leicht verzerrte Antwort aus dem Handfunkgerät erfolgt umgehend: „This is Marina de Lagos – Go ahead please – over“

Wie häufig hatten wir in den letzten zweieinhalb Jahren als Langzeitlieger in der uns liebgewonnen Marina diesen Funkverkehr wohl geführt mit der immergleichen Rückmeldung „The bridge will open in 5 minutes – over and out“

Es sind die üblichen portugiesischen 5 Minuten – aus denen auch schnell mal 20‘ werden können. An der Westküste der Iberischen Halbinsel ticken die Uhren nunmal anders.

Wir sind bereit zum Auslaufen.

Mein Blick bleibt auf der ockerbraunen,  undurchdringlichen Wasseroberfläche, verschlammt durch tagelange starke Regenfälle, hängen. Eine Farbe wie der morgendliche Kaffee meines Chefs. Lagos will mich loswerden – mein Chef will es nicht, das weiß ich. Es war zunächst eine Art Schockstarre gefolgt von Bedauern, als ich ihn vor ein paar Tagen über meine Entscheidung, aus dem Berufsleben in Kürze auszuscheiden, in Kenntnis setzte. Es ist mehr als das – es ist ein Loslassen.

Ein Prozess den ich in den letzten zwei Jahren durchlebt habe. Ich will frei sein, raus aus dem Hamsterrad.

All das brauchte seine Zeit, die mich emotional abwechselnd vom Wellen-Peak in das Wellental und wieder nach oben gespült hat. Eine starke Auseinandersetzung mit mir selbst.

Die anfängliche Panik des Loslassens hat sich mittlerweile in pure Freude und Erleichterung gewandelt, die auch meine Familie und Freunde mit mir teilen. Es fühlt sich rundherum gut an. Es ist ein Neubeginn.

Das Tonsignal, das kurz vor Öffnung der Brücke ertönt und die Fußgänger sogleich in die Schranken weist, um den Schiffsverkehr passieren zu lassen, holt mich zurück in das Hier- und Jetzt. 

Ich sehe zu, wie sich die Brückenmitte langsam öffnet und gebe meiner Crew, bestehend aus Ehemann und gutem Freund, das Kommando „Leinen los“. Die Dream Chaser gleitet an den Nachbarbooten vorbei – unsere Freunde und Bekannte stehen an Deck der „Bobby Dazzler“, der „Castle Island“ und winken uns zum Abschied noch einmal zu. Auch Peter auf seiner geliebten „Salara“,scheint es mir, obwohl er bereits vor über einem Jahr auf ihr verstorben ist.

Ich schaue vor mir in den Himmel und konzentriere mich auf die beiden nach oben ragenden  Brückenhälften – Mastposition Kurs mittig – so, wie immer – so, nun zum letzten Mal. Ich hebe mein Arm zu einem letzten Gruß an den Marinero im Marinatower.

Die Bugwellen umspielen die Dream Chaser auf dem Weg durch den Kanal auf das Meer hinaus. Mein verschwommener Blick heftet sich länger als sonst auf die eiserne Brücke hinter uns – bis das Tonsignal letztmalig verstummt.

Ein Vorwärts – kein Rückwärts – so also fühlt es sich an – das Ende vom Anfang unserer Odyssee.

Die Algarve ist wütend. Mit heftigem Wind und gut zwei Meter Welle von schräg Achtern schüttelt sie uns zwei Tage lang durch, bis wir die spanische Grenze erreichen. 

Ich lasse meinen Blick immer wieder über den Horizont gleiten, bis ich die Küste Marokko’s schemenhaft erkennen kann. Die Sonne spiegelt sich in der Bucht von Cadiz.

Die Leinen sind los.

Marina de Lagos
Von Glück und Logik

Von Glück und Logik

Landtag. Crewmitglied Freund Ralph, der mit uns seit Lagos unterwegs ist, geht planmäßig bei Malaga von Bord. Er war uns eine wertige Unterstützung. Zu dritt entspannen sich die Abläufe an Bord wie eine Leine, an der das Zerren des Windes nachlässt. Und jetzt haben wir niemand mehr, der am Abend mit uns Binokel spielt, das Kartenspiel unserer Vorväter.

Wir nutzen den Tag und fahren nach Córdoba, wo man an der Kathedrale sehen kann, wer über Jahrhunderte die Herrren der Stadt waren. Maurische Rundbögen, römische Säulen, gotische Kuppeln und, in neuester Zeit, Ticketautomaten, Absperrbänder, Mülleimer, übervolle. Wie alles hier übervoll ist. Der Innenhof der Kathedrale, ihre heiligen Hallen mit den zahllosen Hufeisenbögen,  die engen Gassen des alten jüdische Viertels, die römische Brücke über den Guadalquivir, dessen Mündung  bei Sanlucar wir vor einer Woche passiert haben. Es ist kaum möglich, nicht gelegentlich angerempelt zu werden. Schon gar nicht, während der kleine Free Palestine Protestmarsch sich trommelnd den Weg bahnt. Ein beliebiger Tag Ende März. Die schiere Masse der Touristen hat sich des Ortes bemächtigt, auf der ihr eigenen Art, die Höhepunkte der Welt als Kulisse für das vermeintliche Ich, das stets sich in den Vordergrund auf ein Bild vom mobilen Gerät drängt. Ähnliches sah ich zuletzt in Lissabon vor einigen Jahren. 

Weg aus dem Gedränge in eine ruhige Seitengasse, die aus der Altstadt herausführt, stellt sich jenseits der alten Stadtmauer das Gefühl des ‚Normalen‘ wieder ein. Wenige Menschen auf der Straße. Und dann stehe ich plötzlich vor der Statue eines großen Mannes dieser Stadt. Als Einziger. Kaum einer kennt Averroēs.

Neben dem Medicus Ibn Sina war Averroës der zweite große orientalische Gelehrte des Mittelalters. Er schrieb zu fast allen Werken von Aristoteles Kommentare und kam zum Schluss, dass das Glück in der Anwendung von Logik liegt. Mit dem Verstand die rechten Schlüsse ziehen, wie der große Philosoph des griechischen Altertums. Aus den Daten der Sinne zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.

Das Gegenteil dessen, was ich heute in der Stadt gesehen habe, wo die Leute vom trügerischen Glück des eigenen Bildes darauf schließen, wie die Welt sein müsse. Ich überlege kurz, ob ich ein Selfie mit Averroës machen soll. Und lasse es dann.

Finde den Fehler

Finde den Fehler

Die  Komplexität eines Bootes zeigt sich tatsächlich erst im Laufe der Zeit. Wir geniessen nun seit eineinhalb Jahren unsere Dream Chaser und verbringen zunehmend mehr Zeit an Bord.

Dass wir hin und wieder mit Pflegen, Ausbessern, Ersetzen, Hinzufügen beschäftigt sind, gehört einfach zum Bootsalltag.

Der wichtigste Aspekt ist jedoch, wir lernen immer wieder dazu. Wenn wir erst mal im Mittelmeer sind, werden wir froh darüber sein.

Glücklichweise sind wir in Lagos mittlerweile gut vernetzt und nehmen Rat und Hilfe der Kenner gerne an.

Nun haben wir seit einiger Zeit Probleme mit unserem Steuerbord-Motor, der sich bei höherer Drehzahl scheinbar einen Wettkampf mit einer Dampflokomotive liefert.

„Verstehe den Motor“, so die Aussage unseres Mechanikers. Der Wechsel vom Krümmer, Reinigung aller Durchlasskomponenten, Austausch von Dichtungen etc. etc. führt zu keinem befriedigenden Ergebnis.

Klaus ist in den Tiefen des Motors abgetaucht, hat mittlerweile einen Gesellenbrief von unserem Mechaniker ausgestellt bekommen, aber hey, es qualmt noch immer.

Die Suche nach dem Fehler geht weiter. 

Noch haben wir 3 Monate Zeit, bis die Dream Chaser vollends fit sein muss, bevor wir unsere liebgewonnen Unterstützer in Lagos zurücklassen.

Herausforderungen

Herausforderungen

Klaus hat unsere RYA Herausforderung bereits sehr treffend beschrieben. Ein knappes Jahr haben wir uns theoretisch auf die RYA Ausbildung vorbereitet.  Unendlich viel Stoff in uns reingepaukt, dass der Kopf gefühlt überzulaufen drohte. Es sind nicht die Segelmanöver, die wir schon viele Jahre praktizieren,  es ist das theoretische Wissen, das wir in ungewohnten Gewässern mit sehr hoher Verkehrsdichte umsetzen mussten. Training an der Südküste Englands – im Solent – zu Herbstbeginn, na toll! Bekanntermaßen gehört England ja nicht gerade zu den Schönwettergebieten. Und ich bin halt ein Sonnenkind.

Ich habe mich in den letzten Monaten mehrfach gefragt, warum ich mir das antue. Den berühmte Spruch „Segeln ist wie 100 Euro-Noten unter der kalten Dusche zu zerreißen‘ fand ich hierfür sehr passend. Aber ich wollte lernen und mich der Herausforderung stellen. Das zweiwöchige Training ähnelte mitunter einer Mathe-Klausur. Abtauchen in Tidenkalendern, Berechnung von wechselnden Strömungen, Wind, Welle, Kompasskursen, Beachtung von Verkehrtrennungsgebieten, Deutung von Licht- und Sound Signalen – you name it. Und das natürlich, bevor du mit dem Boot überhaupt den Hafen verlassen hast, geschweige denn, die Segel setzen konntest.

Es war eine mega-spannende und lehrreiche Zeit auf dem Boot, die mich zwischenzeitlich auch an meine Grenzen brachte. Ich war diejenige, die den bekanntesten Seglerknoten nicht mehr setzen konnte und völlig resigniert die Leine an den Trainer übergab. Peng – Overload.

Wie das im Leben so ist, man weiß nicht, was auf einen zukommt. Und es kam anders, als vermutet.
Rückblickend bin ich stolz und glücklich, dass wir uns dem RYA Kurs unter genau diesen Umständen gestellt haben.
Der Solent ist ein sehr schönes, außergewöhnliches Segelrevier, dass uns ein um’s andere Mal ins Staunen versetzt hat und hey, auch dort oben lacht die Sonne.

Unter Seglern sagt man, wer im Solent segeln kann, der kann es überall.

Off we go!

Nortada

Nortada

Angenehm sind die Vormittage an der Algarve, sonnig und warm. Doch in diesen Tagen, gegen 16 Uhr setzt regelmäßig Nordwind ein. Die Boote in der Marina zerren an den Leinen, der Sand bläst waagrecht über den Strand, die Sonnenhüte der Damen fliegen davon und hinaus aufs Meer. Das ist der Nortada, der, aus dem Azorenhoch geboren, im Sommer warme Luftmassen über der iberischen Halbinsel nach Süden schaufelt, wenn sich die Landmassen während des Tages stark erwärmen. Die Böen können dann mit 25 kt (45 km/h) durch die Marina brausen und wer nicht rechtzeitig angelegt hat, läuft Gefahr, der bunten Touristenschar entlang des Quais ein erstklassiges Hafenkino zu bieten. Rufe werden zu Schreien, Menschen laufen unkoordiniert über Decks, Leinen fallen ins Leere, Fiberglasrümpfe krachen verstörend auf Metall oder Beton.


Wir genießen den Spätnachmittag auf der Liegefläche am Vorschiff, als die Malu an uns vorüberfährt, eine 40 Fuß Segelyacht. Anfangs zu schnell für die Enge des Hafenbeckens. Dann zu langsam. Wir sehen der Crew die Anspannung an. Menschen mit einem Leinenhaufen, zu hoch positionierte Fender, der Skipper am Ruder schwitzt und kommandiert hektisch seine Crew auf dem Boot herum. Eine Jugendliche im Bikini schüttelt genervt den Kopf. Dann ergreift der Wind die Kontrolle über das Boot. Schon treibt der Bug ab und in Richtung einer etwas längeren Yacht, deren massiver Anker wie eine Lanze mit Widerhaken jedem droht, der ihr zu nahe kommt. Der Stress steigt ins Unermessliche. Ein Krachen, ein Schlag, Schreie. Kindergezeter. Vatergebrüll. Das Mädchen schüttelt den Kopf und geht unter Deck. Eine Frau, die ihre Mutter sein könnte, lässt sich kraftlos auf den Kajütaufbau sinken und verbirgt das Gesicht in Händen.

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