Wir machen mit dem Auto einen Ausflug nach Syracuse, die Perle im Süden der Ostküste Siliziliens. Das Städtchen liegt an einer ruhigen Bucht, einige Boot überwintern hier. Ich fühle mich an Alghero und Tropea erinnert. Eine lange wechselhafte Historie, uralte Gemäuer, schmale Gässchen, kreative Menschen – wenn man durch die Touristen hindurchsieht. Aber davon gibt es hier Mitte November kaum welche. An der Hafenmauer kann man kostenlos anlegen. Wir sitzen in der ersten Reihe eines Cafés und genießen einen Cappuccino. Quer ab liegt der Quai der Küstenwache und Seenotrettung. Ein Schiff mit rotem Rumpf liegt dort, es kommt mir bekannt vor. Es ist die Ocean Viking, ein Versorger, der zum Rettungsschiff umfunktioniert wurde, und der seit 2019 im südlichen Mittelmeer kreuzt. Einsätze zur Rettung Schiffsbrüchiger. Im August wurde sie nach der Aufnahme von Migranten aus Nordafrika von der libyschen Küstenwache in internationalen Gewässern massiv beschossen. In der Presse war von zwanzigminütigem Dauerfeuer die Rede, das Schiff und Ausrüstung beschädigte. Das Schiff fährt unter holländischer Flagge und erlangte schon bei ihrer ersten Rettungsfahrt Berühmtheit, als Malta die bereits erteilte Erlaubnis zum Auftanken zurückzog. Der italienische Innenminister unternahm damals einige Anstrengungen, die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer zu unterbinden. 2020 wurde das Schiff beschlagnahmt, weil sich mehr Menschen an Bord befanden, als gemäß Zulassung erlaubt gewesen wären. Diesen Sommer nun der Beschuss. Über die Hintergründe wird bis heute nichts berichtet. Die Deutsche Welle schrieb, dass das Schiff zum Verlassen der von Libyen erklärten Kontrollzone in internationalen Gewässern aufgefordert habe. Es ist davon auszugehen, dass eine libysche Miliz die Hoheit und Kontrolle in der Gegend beansprucht und Flüchtlingsboote zurückholt, die nicht den geforderten Trbut entrichtet haben.

Und plötzlich berühren sich zwei Welten. Die Seefahrer im Promenadencafé mit Loungemusik (eine Version von What a wonderful world) und das Flüchtlingsschiff, das unauffällig an der Hafenmauer liegt, als ginge es nachts auf Fischfang. Ich fühle mich unwohl. Etwas ist in meine Welt getreten, das ich nicht in ihr haben möchte, um das ich einen großen Bogen machen wollte, angesichts einer Widersprüchlichkeit, für die ich keine Lösung habe. Sprichwörtlich, als Skipper. Wie umgehen mit der Situation, wenn plötzlich ein überfülltes people boat – so nennen das manche – in der Nähe auftaucht? Nach internationalem Recht ist man zur Rettung Schiffsbrüchiger verpflichtet. Man nimmt sie auf und bringt sie in den nächstsicheren Hafen. Was aber ist sicher? Seemännisch sicher? Politisch sicher? Weltanschaulich sicher? Was tut man, wenn die Seenot geradezu mutwillig herbeigeführt wurde, von Schleppern, hinter denen ganze Banden stecken? Von Menschen, die sich selbst bewusst in diese Situation bringen, aus welchen Gründen auch immer und weil in Europa alles besser ist. Unser kleines Segelboot in der Schussliinie des internationalen Geschäfts mit der illegalen Migration. Was bedeutet da Rettung? Rettung wovor? Dem Meer, einer Regierung, einer Ungerechtigkeit? Ich lehne mich zurück in das weiche Sofa und schließe die Augen. Neulich las ich einen Beitrag in einem renommierten Online- Magazin. Dort wurde die Haltung vertreten, dass eine Frau aus Iran grundsätzlich Anspruch auf Asyl in Europa habe, weil dort ein frauenfeindliches Patriarchat herrsche. Demnach hätten alle Frauen aus jedem islamisch geprägten Land Anspruch auf Asyl in Europa. Wir auf der Dream Chaser können niemanden wirklich retten. Wir können uns allerdings in Lebensgefahr bringen, etwa wenn fünfzig Leute von einem Schlauchboot zu uns umsteigen wollen, weil sie sonst absaufen. Oder wenn Milizen das people boat beschießen. Man ist ganz nah dran hier auf Sizilien.

Die Ocean Viking dümpelt fest vertäut im ruhigen Hafenbecken. Wo sind die Menschen, die zuletzt an Bord waren, jetzt?

Last Updated on 10. December 2025 by KMF

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