Viele Grüße von der Dream Chaser sende ich per Mail nach Hause und hänge ‚Auf der die Träume wie von selbst immer größer werden‘ dran.
Zuletzt durch einen Abend an Bord unserer britischen Bootsnachbarn Simon und Elaine. Was mit einer Gitarre begann und sich im Gespräch bis auf die jeweiligen politischen, religiösen und sonstige Weltbilder ausdehnte – bei Brot und Wein versteht sich –, mündet plötzlich in die Idee, sich auch seglerisch näher zu kommen. Viel näher. Von den Kanaren, den Kapverden, der Atlantiküberquerung gar ist die Rede. Der Brite hat uns regelrecht darauf eingeladen. Das Paar braucht uns dafür nicht. Aber sie können es sich gut vorstellen, betont er und fügt hinzu: Danach seid ihr andere Menschen!
Geheimnisvoll tut er dabei, wie im Besitz eines höheren Wissens, das m an nur als auserlesenes Mitglied des Ocean Cruising Club erlangen kann. Mit einer nachgewiesenen Passage von mehr als eintausend Meilen Länge. Wäre das nicht auch etwas für euch?, fragt er und ich bedanke mich einstweilen für die EInladung und den intensiven Austausch im gemütlichen Salon der CASTLE ISLAND, einem 37 Fuß Langkieler von Island Packet.
Zurück auf dem Schiff. Ich freue mich, wieder hier zu sein, wuchte mein Gepäck schwungvoll an Deck und schiebe die Tür zum Salon beiseite, damit der Muff der letzten vier Wochen sich verziehen kann. Die abgestandene Luft im Schiff ist mit salziger Seeluft vermischt. Das gibt ihr die eigene Note, als hätte sie nach getaner ehrlicher Arbeit noch nicht geduscht. Elaine und ihr Partner laufen auf dem Steg an mir vorüber. Ich kenne die beiden eigentlich nicht. Sie, eine drahtige noch junge Frau, die ich als Schwedin im Kopf habe, obwohl sie keine ist, grüßt freundlich, wenn wir uns sehen. Sie hat immer ein unverbindliches Lächeln für mich. Auch für andere. Ihn habe ich noch gar nicht wahr genommen. Die Beiden liegen mit ihrer gepflegt soliden Vierzig-Fuß-Yacht am Ende des Stegs. Elaines Partner spricht mich an. Direkt. Ohne Einleitung. „Are you playing the guitar?“ Ja. Das muss ich sagen, mit der halsigen Tasche auf meinem Rücken. Aber nein, ich spiele sie nicht. Noch nicht. Gestern meine allererste Unterrichtsstunde. Das Instrument auf meinem Rücken also jungfräulich, aus spanischer Produktion, erworben in Frankfurt. Es ist mir noch fremd. Wie der Mann, der mich das fragt. Und er legt nach: „Darf ich an Bord kommen?“ Elaine lächelt und geht ihres Weges. „What is it?“ Was? Die Gitarre? Ich kann nicht viel dazu sagen. Ein günstiges Instrument, gewiss. An Bord werde es schließlich leiden, worauf er mir nickend zustimmt. „Wait a minute“, sagt er, lässt mich eilig stehen, und kommt kurz darauf mit seinem eigenen Instrument an Bord. Eines, das zu fein ist für die See. „Ein Geschenk von Elaine. Sie hat darauf bestanden.“ Er setzt sich, stimmt die Schöne unter Zuhilfenahme meiner ‚Al Hambra‘ und beginnt zu spielen. Spielt einfach drauf los, was ihm gerade in den Sinn kommt. Auf dem Griffbrett sind Vögel eingearbeitet. Seine Finger gleiten flink darüber, als flögen sie mit ihnen samt Klängen, Rhythmen, Melodien davon. Rockig, popig, Blues, eine Mischung aus allem, und der die Saiten zum Schwingen bringt, schwingt regelrecht mit. Mit Kopf, Schultern, einem Bein. Am ganzen Körper. Er vergisst das Drumherum, vergisst das fremde Boot, den Mann, der ihm gegenüber sitzt, der schon ganz Gehör ist. Vergisst auch die Köpfe der Segler rings herum; sie krabbeln wie Erdmännchen aus ihrem Bau und recken die Hälse nach dem, was hier los ist. Es spielt keine Rolle, dass wir mitten am Tag auf dem noch ungastlichen Achterdeck der Dream Chaser sitzen. Musik hat keine Zeit, hat keinen Ort. Sie ist immer zu Hause, jederzeit, überall. Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. Das hat ein ernsthafter Denker gesagt, und er hatte recht damit. Der Engländer, als solchen kenne ich ihn inzwischen, zeigt mir SEINE Musik und ich weiß noch nicht einmal seinen Namen. Ich stelle mich vor. Simon, sagt er und es hört sich für mich an wie Salomon. “ No, not the wise man. Simon.“ Wie der von Garfunkel. Größer als ich, schlank, Ende fünfzig, kurzes graues Haar, den jugendlichen Schelm immer noch im Gesicht. Simon ist ein Music Man. Wir verabreden uns für kommemde Woche. Bei uns an Deck. Wir werden ein paar Drinks nehmen, es wird ein bißchen ums Segeln gehen – er und Elaine sind schließlich gerade von den Azoren zurück – und um Musik. Viel Musik.
Die Komplexität eines Bootes zeigt sich tatsächlich erst im Laufe der Zeit. Wir geniessen nun seit eineinhalb Jahren unsere Dream Chaser und verbringen zunehmend mehr Zeit an Bord.
Dass wir hin und wieder mit Pflegen, Ausbessern, Ersetzen, Hinzufügen beschäftigt sind, gehört einfach zum Bootsalltag.
Der wichtigste Aspekt ist jedoch, wir lernen immer wieder dazu. Wenn wir erst mal im Mittelmeer sind, werden wir froh darüber sein.
Glücklichweise sind wir in Lagos mittlerweile gut vernetzt und nehmen Rat und Hilfe der Kenner gerne an.
Nun haben wir seit einiger Zeit Probleme mit unserem Steuerbord-Motor, der sich bei höherer Drehzahl scheinbar einen Wettkampf mit einer Dampflokomotive liefert.
„Verstehe den Motor“, so die Aussage unseres Mechanikers. Der Wechsel vom Krümmer, Reinigung aller Durchlasskomponenten, Austausch von Dichtungen etc. etc. führt zu keinem befriedigenden Ergebnis.
Klaus ist in den Tiefen des Motors abgetaucht, hat mittlerweile einen Gesellenbrief von unserem Mechaniker ausgestellt bekommen, aber hey, es qualmt noch immer.
Die Suche nach dem Fehler geht weiter.
Noch haben wir 3 Monate Zeit, bis die Dream Chaser vollends fit sein muss, bevor wir unsere liebgewonnen Unterstützer in Lagos zurücklassen.
„Da“, ruft jemand an Bord aufgeregt und zeigt in die Ferne. „Delfine“. Alle sehen in die Richtung der Vermuteten, die auf wundersame Weise immer wieder die Herzen der Menschen erfreuen. Es könnten indessen auch junge Orcas sein. Aus der Ferne ist das nicht so leicht zu unterscheiden, wenn nur eine Rückenflosse über die Wasseroberfläche gleitet. Bei jeder solchen Sichtung jagt mir das Adrenalin ins Blut, bis Klarheit herrscht. Wo Delfine sind, gibt es keine Orcas, sagt man. Erstere machen einen großen Bogen um ihre größeren und mindestens genauso schlauen Artverwandten. Das wäre dann eine gute Nachricht. Im Juli war es erstaunlich ruhig an der Algarve und seit Anfang August gab es hier erst eine Sichtung von Schwertwalen. Die Tiere konzentrieren sich derzeit auf den westlichen Zugang von Gibraltar. Immerhin, auch diese Beobachtung entspannt ein wenig. Das Phänomen Orca-Attacken beschäftigt die Menschen auch in 2024.
Auf dem Weg zum Werftshop, so eine Art Baumarkt für Bootsfahrer, sah ich, aufgebockt zwischen anderen Yachten, ein kleines Kajütboot, gebaut durchaus für mehrtägige Törns auf dem Meer. Und davon hat es dem Anschein nach schon einige hinter sich. Aufgebockt zwischen anderen Yachten stand es da. Deutlich die Gebrauchsspuren und das Alter von Rigg und Rumpf. Der neue Unterwasseranstrich fällt indessen auf. Und das Ruderblatt. Es ist mit einem Gruß an die Orcas versehen: PLAY WiTH DOLPHiNS Schön, dass sich der Segler seinen Humor bewährt hat.
Wie schwer es doch fällt loszulassen. „Wir müssen besprechen, wann ich im kommenden Jahr aufhöre zu arbeiten“, sagt sie. Im kommenden Jahr? Nein. Jetzt; jetzt ist der Zeitpunkt aufzuhören. Du bist ja schon dabei. Du weißt nur noch nicht, wie du es anstellen sollst. Wir sind längst unterwegs, sind bestens vorbereitet, haben das Boot zu unserem gemacht, und in drei Monaten setzen wir endgültig die Segel und verlassen den Ort am südwestlichen Zipfel von Europa, der für die meisten Segler nur ein Ankommen oder Ablegen markiert auf ihrem Weg über den Atlantik, für uns aber bereits zur Heimat zu werden beginnt. Wir segeln in die entgegengesetzte Richtung, zwischen den Säulen des Herakles hindurch, hinein in das Meer der alten Welt, die für uns eine neue sein wird. Loslassen. Jetzt.
Es gibt sie noch, die Orte, an denen die Welt ihren gewohnten Gang geht. Die kleinen verschlafenen Nester, in denen das Leben am Morgen seinen gewohnten Gang geht. Fischer, die gleichmütig ihre Netze reparieren. Leute beim Bäcker, aus dessen Stube es herrlich nach Frischem duftet. Einheimische, die vor einer Hauswand auf einer Bank sitzen oder an den Lampenmast gelehnt auf den Bus warten.
Ok, ich gebe zu, wir haben da ein wenig nachgeholfen. Mit freundlicher Unterstützung der Paltenfamilie aus Neuseeland. 😉