Elba, du Schöne

Elba, du Schöne

Elba, du Schönste unter den Toskanischen Inseln, schmiegst dich weich und üppig vor der Küste aufs azurblaue Meer und schmeichelst uns mit Wind umwehtem Haar und schimmerndem Kleid wie eine neue Geliebte. Während im hohen Sommer Italien überhitzt – Luft, Wasser und Menschen wie kurz vor dem Siedepunkt -, bewahrst du kühlen Kopf und warmes Herz. Wir können nicht von Dir lassen, umrunden dich, kehren bei dir ein, nehmen Abschied und kommen mit günstigen Winden zurück, um noch länger zu bleiben.
So halte ein in deiner Kunst der Verführung…

Eieiei, sagt meine Frau, wie schreibst du denn? Hast wohl zu viel von dem Roten aus Bolgheri getrunken, und jetzt gehen dir die Gäule durch.
So wird es gewesen sein. Aber schön war’s und jetzt sind wir auf dem Weg nach Giglio.

Anreise

Anreise

12:30, die Sone scheint, wir setzen auf der langen Piste auf und rollen zum Terminal ab. Fiumicino steht da in großen Lettern. Rom. Nicht Florenz, wie geplant. Auf dem Weg zum Flughafen heute Morgen habe ich gesehen, dass noch fünf Leute kurzfristig ein Ticket gekauft haben und die Maschine plötzlich überbucht war. Alle Flieger in die Toskana sind heute voll. Auch die nach Rom. Bis auf die LH232 um 10:40, die hat noch Plätze. Die Uhr im Taxi zeigt 09:42.
Jetzt wird’s eng. Unsere Entscheidung fällt schnell. Ich buche per Handy Rom und will auch gleich einchecken. Leider funktioniert das nicht, weil wir bereits nach Florenz eingecheckt sind. Wir gehen zum Business- Schalter und stehen in einer Warteschlange, weil nur zwei Counter belegt sind. 10:08. In zwei Minuten beginnt das Boarding. Wir werden manuell eingecheckt. Der Flieger geht von A18. 10 Min Fußweg, fünf, wenn man rennt. An der Security steht eine richtig lange Schlange. Wir bitten die Leute, uns vorzulassen und sagen mehrfach Danke.
Leider werden alle drei Körbe von uns zur intensivkontrolle aussortiert. Kurz darauf steht die ganze Anlage, nachdem eine große rote Warnlampe aufleuchtet. Das Personal wirkt aufgeregt, einer greift zum Telefon, kurz darauf stehen drei schwer bewaffnete Polizisten in der Anlage. Nichts geht mehr und einer der Ordnungshüter klärt uns auf, dass das so bleibt, bis das Problem geklärt ist, die drei übergroßen Gepäckstücke eines blassen jungen Mannes in Sportshorts und T-Shirt. Wer hat ihm dieses Handgepäck durchgehen lassen, frage ich mich gegen 10:23. Ich bleibe freundlich und spreche die zwei Passagiere vor uns in der Sonderkontrolle an, ob sie es eilig hätten. Sie stimmen zu, uns vorzulassen, sobald es weitergeht, um 10:29 schließlich, endlich und der freundliche Mann an der Security kontrolliert unsere Taschen nur scheinbar und wünscht uns Gute Reise, als wir die Sachen aus den Körben nehmen und anfangen zu rennen.
Schon denken wir an die ewige Stadt, planen spontan eine kleine Reise durch die Toskana, buchen online einen Cinquecento
…. und stehen jetzt seit einer Stunde in der Warteschlange der Autovermietung.

Es ist 14:28, der Tag halb vorüber. Mir scheint, die Odyssee liegt mitunter mehr im Abenteuer der An- und Abreise als in allem anderen.

Alle Tage Alltag

Alle Tage Alltag

Wir brauchen einen Arzt. Die entzündete Stelle auf Carolas Oberschenkel hat sich zur Größe eines Topflappens ausgeweitet und bildet einen roten Kranz. Es besteht der Verdacht auf eine bakterielle Infektion, ausgelöst durch eine Zecke. Und das an Ferragosto, einem der höchsten Feiertage in Italien, noch dazu auf einer Insel.
Wir fahren zum Festland und gehen in Portoferraio am Samstag in die Ambulanz des Krankenhauses, wo uns erfreulicherweise mit dem passenden Antibiotikum geholfen werden kann, auch wenn es fünf Stunden dauert. Während wir im Wartebereich sitzen und ich mir über den weiteren Weg in Richtung Cinque Terre Gedanken mache, sehe ich, dass die Wettervorhersage für die kommende Woche heftige Gewitter zwischen Genua und Elba prognostiziert. Es gilt, bis Dienstag Abend irgendwo sicher zu liegen. Danach werden wir es zu den fünf Erden nicht mehr schaffen, die Zeit läuft uns plötzlich davon.
Wir entschließen uns kurzerhand, nach Capraia zu segeln, eine kleine Insel nördlich von Elba und für den Moment ein guter Ausgangspunkt für alles Weitere.
Der Wecker piepst am kommenden Morgen  um sieben Uhr. Aufstehen, ein Kaffee, Motoren an, Anker auf – denkste. Das Ding weigert sich, gelichtet zu werden. Wir ruckeln vor, zurück, zwei, drei, fünf Mal; vergeblich. Erst ein Tauchgang bringt Gewissheit: Er hat sich in fünf Meter Tiefe unter einem Felsvorsprung eingegraben. Mir fehlt die Kraft, dort runterzutauchen und ihn zu lösen.
Sonntag, frühmorgens. Ich stehe nass an Deck und bekomme schlechte Laune.

Nackt – zwischen Gesetz und der Kraft der See

Nackt – zwischen Gesetz und der Kraft der See

Wir weichen dem Mistral nach Süden aus und folgen dem zerklüfteten Verlauf der Costa Smeralda mit ihren herrlich Ankerbuchten und kleinen Inselchen, die man in einigem Abstand umschiffen muss. Was man weit mehr umschifft, sind allerdings die großen Motoryachten, die hier so gehäuft anzutreffen sind, wie andernorts Segler. 30 bis 50 Meter lange Hochhäuser in Hochglanz, zu Dutzenden. Die meisten sind auf den Caymans, den Bermudas oder auf Malta registriert. Steuersparend, versteht sich.

Am Abend gehen wir im Golf von Aranci vor Anker und finden in der gut besuchten Bucht eine freie Stelle in der Größe von drei Fußballfeldern. Freigelassen geradezu kommt uns das vor und das Studium der weiterführenden Literatur bringt Klärung. Wir ankern direkt neben einer Unterwasser- Kunstausstellung aus dem Jahr 2021. Etwa zwanzig auf dem Meeresboden verankerte Skulpturen, und wer das nicht weiß läuft Gefahr, mit seinem Kiel daran hängen zu bleiben, denn das Feld ist nur unzureichend durch Bojen markiert und nicht in allen Seekarten vermerkt.

Ich sehe von Deck aus eine der Figuren, hole die Schnorchelausrüstung und tauche zu ihr hinab. In etwa zwei Meter Tiefe nähere ich mich der überlebensgroßen Gestalt. Ein unförmiger Klotz. Mit viel Phantasie kann ich eine Figur darin erkennen, die so etwas wie Gliedmaßen hat. Oder sind es zwei ineinander verschlungene Körper? Ich schnorchele weiter, entdecke noch andere Kunstwerke im Azurschleier der kaum belebten Bucht, und ich frage mich, ob dies das eigentlich Bemerkenswerte ist: das Abwesende. Eine Sandwüste am Meeeresgrund, kaum Gras, kaum ein Fisch, kaum Leben. Auf dem Rückweg komme ich wieder an der ersten Skulptur vorbei. Von dieser Seite sieht es aus, als würde sich mir ein Kopf zuwenden, mit einem starren Auge. Er bewegt sich vor und zurück, wie die beiden prallen Kugeln vor ihm. Die ganze Bewegung wie eine illusion, hervorgerufen durch die sanften Wellen des Meeres und dem Lichtspiel der Sonne darüber. Ich bin ein Teil davon, wenn ich so schwerelos dahintreibe.

Nackt – zwischen Gesetz und Kraft des Meeres, heißt das Werk, das beansprucht Kunst zu sein. Für mich zu viel Spielraum für Interpretation. Ist da jemand nackt, trotz aller an einem zerrenden Kräfte um einen herum, oder ist man zwischen den Gesetzen des Landes und des Meeres frei von diesen Kräften, also rein, oder nackt? Was weiß ich. Die Italiener scheinen das selbst nicht so genau zu nehmen, denn viele der anderen Skulpturen liegen zerstört oder von ihrem Sockel gestoßen auf dem Meeresgrund. Hier nur Bilder von denen, die noch stehen.

Vergaser Versager

Vergaser Versager

Wir liegen vor Anker in der wunderbaren Bucht des Naturhafens, wollen mit dem Dinghy an Land, haben Wäsche für den Waschsalon an Bord, Mülltüten auch, und gedenken, den kleinen Ausflug gemütlich mit einem Cappucchino zu verbinden. Cafés gibt es in Portocolom während der Saison ja reichlich. Doch der Motor des Beiboots springt nicht an. Carola verleidet sich daran und zuckt mit den Schultern. Ich versuche es auch; es gelingt unter Mühen, aber irgendwie kommen die fünf PS nicht in Gang, es ist, als würden sie sich verschlucken. Und das tun sie dann auch, mitten im Fahrwasser des Hafenbeckens, zwischen zwei passierenden Booten. Wir greifen für die Reststrecke zu den Paddeln. Drecksding. Schon wenn ich das Bild von einem Vergaser sehe, schwant mir Fürchterliches. Ein metallener Kasten mit Öffnungen, Klappen, Schrauben, Schläuchen; wie ein menschliches Herz sieht das aus, und der Gedanke, dass ich mich diesem Bauteil zuwenden muss, löst in mir pures Grauen aus. Ich bin kein Mechaniker, bin kein Tüftler und erst recht nicht Chirurg. Ich will das alles auch gar nicht werden. Aber wenn ich den Motor nicht wieder in Gang bekomme, haben wir in den kommenden Tagen ein verdammtes Problem. Wir erwarten Gäste, müssen Proviant aufnehmen, abends zumindest den Weg in ein Restaurant schaffen – an die geplante Passage nach Sardinien will ich gar nicht denken. Wer weiß, wie weit dort die Wege von einer Ankerbucht in das nächste Dorf sind.
Zu Hause würde man jetzt einfach einen Handwerker rufen. Nicht, dass hier einer kurzfristig vorbeikommen würde … Maybe in two weeks … das ist die zu erwartende Antwort. 
Ich lerne also, dass der Vergaser Benzin zerstäubt,  bevor es der Brennkammer zugeführt wird. Mittels Drosselklappe erfolgt die Regulierung des Benzin-Luftgemischs, was zu mehr oder weniger Power führt. Wenn das Benzin seit längerem im Kreislauf des Motors steht, kann es Klümpchen bilden, die sich auf der Düse des Zerstäubers festsetzen. Das war’s dann. Wie im richtigen Leben, wenn sich darin nichts mehr bewegt und die Blutbahnen sich zusetzen. Und weil ich diesen Gedanken nicht zu Ende denken will, setze ich mich in der prallen Sonne mit der Werkzeugkiste, ein paar Lappen und Tüchern ins Beiboot. Natürlich habe ich mich zuvor bei Youtube schlau gemacht. So geht das ja heute. Zumal die gedruckte Anleitung des Herstellers achtzig Euro kosten würde. Nach einer Stunde und drei Vergaser-Versager-Videos halte ich mich bereits für einen Experten. Diese Selbstüberschätzung ist nötig, um mich überhaupt ans Werk zu trauen, angesichts der Gefahr, dass ein wichtiges Schräubchen ins Wasser fällt bei dem Geschaukel. Das Dumme ist, das Teil ist nicht durchsichtig. Ich habe nicht die geringste Ahnung, ob das, was ich vorhabe zu tun, in direktem Zusammenhang mit dem Motorproblem steht.

Zwei Stunden und ein Eimer voller Schweißperlen später reiße ich am Starter. Der Motor springt beim dritten Versuch an. Tatsächlich? Es grenzt an ein Wunder. Oder auch nicht. Ich habe eine ganze Menge gelber Masse wie Ohrenschmalz aus der Herzkammer des Bauteils gekratzt und gespült. Dass beim Zusammenbau nichts schiefgelaufen ist, war pures Glück.

Eine schöne Geschichte wäre das, soweit die ganze Wahrheit in ihr läge. Soweit außen vor bliebe, dass die Drosselklappe nach der Operation am offenen Herzen verklemmt und zu viel Benzin durchlässt, den Motor weiterhin zum Absterben bringt, mir selbst, nun ohne weitere Idee, nach Absterben zu Mute ist. Wie zum Teufel soll ich in Sardinien im August jemand finden, der mir mal schnell einen Außenborder repariert!

Simon und Elaine kommen an Bord, wahre Ozeansegler. Wir haben sie in Lagos kennengelernt, wo sie seit einigen Jahren auf ihrem Boot leben, und von wo aus sie demnächst zu zweit die Welt umsegeln wollen. Ich komme nicht umhin, das Problem anzusprechen, das mich plagt.
Wirklich, fragt Simon. Sein Gesicht hellt sich auf wie ein Morgen, wenn die Sonne aufgeht. Er liebt es, wenn er ein Problem wie dieses zu lösen hat, und keine dreißig Minuten später, gleich nach dem Willkommensdrink an Bord, lässt er sich die Werzeugkiste geben. Er ist ein Tüftler, zerlegt ohne Scheu vor der Sache und dem erfolglosen Eigner das, was er einen carburetor nennt, im Windeseile und findet schließlich den Fehler, eine vom Eigner verkehrt herum eingelegte Plastikdichtung, die der Drosselklappe den benötigten Bewegungsspielraum nimmt. Als alles wieder zusammengesetzt ist strahlt er wie ein kleiner Junge, dem man einen Gefallen getan hat. Die Überfahrt nach Sardinien kann beginnen.

Wo das Wasser endet

Wo das Wasser endet

Meine Frau parkt gern in der ersten Reihe. Wenn sie in den REWE fährt, nimmt sie den Parkplatz vor dem Eingang ins Visier. Wenn wir nach Bad Homburg zum Essen gehen, wählt sie nicht den Weg ins nahe Parkhaus, sondern fährt vor das Restaurant, um dort einen der wenigen Parkplätze zu ergattern. Zur Ausstellungseröffnung einer Galerie in Sachsenhausen fährt sie auf den Schweizer Platz, als gäbe es dort Freitagabend um Neunzehn Uhr einen Platz direkt vor der Tür.
Das Erstaunliche: Sie bekommt immer den Platz ihrer Wahl. Es ist nicht zu fassen. Der gesunde Menschenverstand flüstert einem zu: Nimm das Parkhaus, Wähle eine Seitenstraße, Geh‘ die paar Meter in den REWE zu Fuß.
Nein. Carola will den Platz ganz vorne. Und sie bekommt ihn. Das versetzt mich immer wieder in Staunen. Ich plädiere regelmäßig für Vernunft, verweise auf den erwähnten gesunden Menschenverstand, manchmal sogar auf die absolute Unmöglichkeit ihres Vorhabens. Vergeblich.

Heute Morgen lichteten wir Anker in Pt. Andratx, um uns ein Stück nach Osten vorzuarbeiten, und einen geeigneten Hafen zu finden, in der wir Bootspflege betreiben können. Die Marina von Santa Ponsa als erste Wahl. Alternativ Palma. Dieser Riesenhafen mit einem Dutzend Marinas, Luxusyachten, Kreuzfahrtschiffen, Charterbasen. Ich bin schon am Zweifeln, ob das ein valider Plan B ist, und Santa Ponsa will uns leider nicht. Der pittoreske Hafen ist voll.
Carola sagt: Lass uns nach Palma fahren.
Ich halte dagegen, glaube, dass es in der Inselhauptstadt erst recht schwierig wird, einen Platz zu finden.
Doch doch. Ich habe ein gutes Gefühl. Das sagt sich leicht. Ich schüttle den Kopf. Mit einem guten Gefühl allein hat keiner je einen Liegeplatz im Hafen von Palma bekommen.
Wir versuchen es per Telefon, per E-Mail, bei Annäherung an den Hafen auch per Funk. Immer die gleiche Antwort. Wir laufen am Paseo Maritim sogar in eine Chartmarina ein. Sie ist halb leer. Doch als wir auf Kanal Acht nach mehreren Versuchen den Marinero erreichen, lässt der uns kalt abblitzen. Fully booked. Dass ich nicht lache. Ich denke, wir werden das dringend benötigte Frischwasser an der Tankstelle aufnehmen und dann, Plan C, in einer Bucht südlich von Palma vor Anker gehen. Ich drehe bereits das Boot auf dem Weg nach draußen, als Carola sich noch mit Einem unterhält, der auf dem nahen Pier seiner Arbeit nachgeht.
Wir probieren es noch dahinten, in der La Lonja Marina, sagt sie.
Schon klar, ganz vorne, nur wenige Meter von der Altstadt entfernt.
Jaja, sie deutet in die Richtung, und wechselt den Kanal am Handfunkgerät. Ich höre nur Si, Yes, a la derecha, stay to the right, und fahre die Dream Chaser durch den Kanal, in dem links und rechts sich das Wasser des Hafenbeckens an den polierten Rümpfen von Traumyachten spiegelt. Dahinter liegen noch fast versteckt zwei Stege für kleinere Yachten. Zwei Marineros in roten Shirts winken uns zu, ich folge ihren Anweisungen und zehn Minuten später machen wir ganz hinten fest, wo das Wasser endet und die Stadt anfängt.
Nachdem die Motoren abgestellt sind und die Anspannung des engen Anlegens von mir gefallen ist, sehe ich mich um. Die Stadtmauer der Altstadt verläuft hier und hinter den Masten der Nachbarboote, keine fünf Minuten zu Fuß entfernt, thront die Kathedrale. Erinnerungen an unsere vielen schönen Aufenthalte in der Stadft mischen sich ins Bild. Wir liegen mitten in Palma, in erster Reihe, und wäre es nach mir gegangen, ich hätte vor einer Stunde abgedreht und mich in irgendeine Bucht verdrückt. Grinsend schüttele ich den Kopf, während meine Penelope den Marinero noch um zehn Prozent runterhandelt.
Wie macht sie das bloß?

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