Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Wir kamen von der Flussmündung des Guadalquivir und befinden uns am Ende eines langen Tages kurz vor der Einfahrt zur Isla Culatra bei Faro, als unser Blick über Backbord zu einer vierzig Fuß Yacht wandert, die, als würde sie ankern, ohne Segel in der Sonntagssonne auf dem Wasser dümpelt.
Ich sehe eine Bewegung an der Wasseroberfläche. Etwas, das aussieht wie ein kurz auftauchender Delfin. Wir sind bei 36°54′ N 007°49′ W. Es ist der 25.06.2023, 16:05 LT, aber was interessiert sich ein Fisch für eine menschengemachte Positionsangabe, für eine Zeit.
Kaum eine Minute später taucht der Fisch erneut auf. Er schwimmt in unsere Richtung. Er ist größer als ein Delfin, viel größer, massiger. Seine Finne ist schmal und lang. Ein Schwertwal. Er hält direkt auf uns zu.

Wir kennen Berichte von Walangriffen auf Yachten. Unter Seglern verbreitet sich so etwas schnell. Einer hört was, einer sagt dazu was, ein Dritter erzählt es weiter, ein richtiges vom Hören-sagen ist das. Man kann nichts darauf geben. Dass die Wale zu einer einzigen Rotte gehören und westl. vor Gibraltar ihr Unwesen treiben. Dass sie ihrer Nahrung, den Thunfischschwärmen, folgen; diese wiederum den Sardinen. Wenn die Fischer ihre Sardinennetze leer aus dem Wasser ziehen, weiß man, dass keine Wale in der Nähe sind, erklärte uns Denys, der Rigger. Dass die Wale seit einiger Zeit Boote angreifen, gemeinsam, gezielt. Dass sie sie mitunter schubsen, stoßen, ja sogar drehen, sich bis zu einer Stunde lang einen Spaß daraus machen, Bootsbesatzungen zu erschrecken, wusste einer zu berichten. Vom Hörensagen. Dass das eigentliche Ziel der intelligenten Tiere aber die Ruderblätter der Yachten sind. Dass sie das auch Ihren Jungtieren beibringen. Das Annähern von hinten unten, der pfeilschnelle Vorstoß aus der Tiefe bis kurz unterhalb der Wasseroberfläche, wo sie in einer auslaufenden Bewegung mit einem leichten Kopfstoß das Ruder schubsen. Oder rechtzeitig abbremsen und es mit dem kräftigen Kiefer anknabbern, als wollten sie einen fremden Artgenossen aus ihrem Jagdrevier vertreiben.
Ich stelle mir vor wie es sich anfühlt, wenn fünf Tonnen auf ein Ruderblatt treffen. Etwa wie ein Kleinlaster, der mit dreißig Sachen gegen eine offene Autotür fährt. Die Tür wird mit lautem Krachen aus dem Rahmen gerissen, das ganze Auto wackelt.
In ein Schiff hingegen, reißt von unten ein Loch.

Wir reagieren sofort: Motoren auf Leerlauf, Autopilot aus, Schwimmwesten an.
Gespannte Stille an Bord. Die Dream Chaser plflügt gemütlich durchs Wasser. Bis das Klicken des Funkgeräts die Stille unterbricht.  PAN PAN PAN PAN meldet die IMAGINE auf Kanal 16 und bittet um Hilfe. Sie ist manövierunfähig, nachdem sie kurz zuvor vom einem Orca gerammt wurde.
Es dauert, die Positionsangabe des Schiffes in Grad und Minute nach Länge und Breite zu begreifen: Die IMAGINE ist das Boot querab von uns, keine halbe Meile entfernt, und noch während ich dabei bin, das zu verstehen, sehe ich den Wal erneut, nur wenige Bootslängen querab. Er hat ein Ziel.
An Bord bleibt es still. Meine Frau steht am Ruder. Ich sehe sie nicht, weiß nicht, was jetzt in ihr vorgeht. Ich gehe vorsichtig in Richtung Reling, halte mich an einem Gestänge fest. Halte mich fest, bis die Hand im Krampf schmerzt. Ich gehe zur Reling gegenüber. Sanft schlägt das Wasser der Algarve gegen den Rumpf. Das müsste es für uns gewesen sein.
Ein dumpfer Schlag trifft den Rumpf.
Und kurz darauf sehe ich unseren Moby Dick auf der anderen Seite des Schiffes auf- und wieder abtauchen. Es bleibt still an Bord.
Ein zweiter Schlag lässt den Rumpf beben. Ich suche den Blick meiner Frau. Er ist frei von Angst.
Nach einer weiteren, einer ewigen Minute traue ich mich erneut, zu glauben, zu hoffen, dass es das gewesen ist. Ich greife zum Funkgerät und rufe die IMAGINE. Wir bieten unsere Hilfe an, sobald der Orca verschwunden ist.
Meine Frau legt langsam beide Gashebel nach vorn und will das Steuerrad nach links drehen. Doch es bewegt sich nicht. Das Ruder sitzt fest.

Takling

Takling

Die Herausforderung, die am Anfang so groß war, sie beginnt langsam etwas zu schrumpfen, wird annehmbarer für uns, und manchmal sind es die kleinen Dinge, die das bewirken.

Unsere Leinen sind teilweise zu lang für ein optimales Belegen der Klampen. Sie müssen gekürzt werden. Denys, den Segelmacher anzurufen, wäre das Naheliegende. Der weiß, was er tut. Seine Bezahlung ist angemessen. Und doch …

Es reitet mich. Ich greife zu einem scharfen Messer und tue, was getan werden muss. Die Leine löst sich sofort in ihre einzelnen Lebensadern auf. Schlau wäre gewesen, dies auf beiden Seiten der Schnittstelle mit Klebeband zu verhinden. Ich mache das nachträglich und verliere dadurch etwas Leine. Nun denn.

Zwei verfranste Enden liegen vor mir. Wie Wunden, die vernäht werden müssen, am besten fachmännisch. Ich habe eine entsprechende Nadel und Segelgarn besorgt, eine Anleitung dazu gelesen und ein Lehr-Video im Netz geschaut. Und dann einfach angefangen zu wickeln. Zunächst ein Stabilisierungsfaden längs der Leine, danach viele Wicklungen quer, schließlich längs der Adern eine doppelte Wicklung. Zum Schluss eine Sicherung des Garns mit halbem Schlag. Et voilà: Mein erstes Takling. Ein gutes Gefühl. Wenn ich das kann, kann ich noch ganz andere Sachen. 🙂

Ein Boot

Ein Boot

La Rochelle. Im 17. Jh ein sagenumwobenes Piratennest. Richelieu lieferte sich mit den Briten Kämpfe um die wichtige Hafenstadt. Heute finden sich hier zahlreiche Bootswerften, und wie es der Zufall will, bekommen wir hier ein Boot angeboten. Leider sind wir zu spät. Über das Wochenende hat ein anderer Interessent den Zuschlag bekommen.

Wir wissen genau, was wir wollen. Doch der Bootmarkt dafür ist klein und international. Insgesamt sinder derzeit gerade mal 14 Lucia 40 auf dem Markt, davon nur fünf in der Owners Version, die niemals in der Charter gelaufen sind. Außerdem scheint das Angebot sich auf wenige Wochen im Jahr zu beschränken. Ende September, zum Saisonende, stellen alle Verkaufswilligen ihre Schiffe ins Schaufenster. Wenn sich bis zum Frühjahr kein Käufer findet, fährt man nochmal eine Saison. Spetember/ Oktober ist Boot-kauf-zeit.

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