Ist ja schön, dass ihr alle das so witzig findet

Ist ja schön, dass ihr alle das so witzig findet

Wir fahren im rechten Winkel auf den Strand auf, sagt der Mann am Motor. Der zuvorderst sitzt springt dann samt Bootsleine an Land und hält das Dinghi gerade, damit alle anderen nach und nach, aber zügig über den Bug aussteigen können. Um die Schuhe im Boot kümmern wir uns zuletzt. Dies die Regieanweisungen für die Besatzung; alle sollen möglichst trocken an Land kommen.

Langsam, aus Sicht des Bootsführers mit der richtigen Geschwindigkeit, nähern sie sich dem Strand auf wenige Meter wie einst die Alliierten in der Normandie, mit einem ähnlichen Bewusstsein womöglich, nämlich den Strandabschnitt für sich zu erobern, gegen einen unsichtbaren inneren Feind, wer weiß. Angespannte Konzentration auch jetzt an Bord. Der Frontmann erhebt sich und setzt zum Sprung an, als eine kleine Welle das Boot von hinten erfasst und gegen den Strand drückt. Das wirkt wie ein Katapult. Man sieht ihn abheben, ein kleiner Flug regelrecht, die Landung im Nassen auf allen Vieren. Worauf die nachfolgende Person, es ist die Frau des Skippers, stockt, stehenbleibt, auch auf die Zurufe ihres Mannes nicht reagiert, die Idee des trockenen Manövers schon in Gefahr, bis eine weitere Welle von hinten sie endgültig zunichte macht, sich am Spiegel des Beibootes bricht und den Steuermann überschüttet wie ein Kübel Wasser. Erst danach setzt die Frau an der Reihe zum Sprung an Land an. Von trocken kann jetzt gar keine Rede mehr sein. Die Flut umspült das Boot weiter, niemand schafft es trockenen Fußes an Land.

Träume

Träume

Viele Grüße von der Dream Chaser sende ich per Mail nach Hause und hänge ‚Auf der die Träume wie von selbst immer größer werden‘ dran.

Zuletzt durch einen Abend an Bord unserer britischen Bootsnachbarn Simon und Elaine. Was mit einer Gitarre begann und sich im Gespräch bis auf die jeweiligen politischen, religiösen und sonstige Weltbilder ausdehnte – bei Brot und Wein versteht sich –, mündet plötzlich in die Idee, sich auch seglerisch näher zu kommen. Viel näher. Von den Kanaren, den Kapverden, der Atlantiküberquerung gar ist die Rede. Der Brite hat uns regelrecht darauf eingeladen. Das Paar braucht uns dafür nicht. Aber sie können es sich gut vorstellen, betont er und fügt hinzu: Danach seid ihr andere Menschen!

Geheimnisvoll tut er dabei, wie im Besitz eines höheren Wissens, das m an nur als auserlesenes Mitglied des Ocean Cruising Club erlangen kann. Mit einer nachgewiesenen Passage von mehr als eintausend Meilen Länge. Wäre das nicht auch etwas für euch?, fragt er und ich bedanke mich einstweilen für die EInladung und den intensiven Austausch im gemütlichen Salon der CASTLE ISLAND, einem 37 Fuß Langkieler von Island Packet.

Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum

Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum

Zurück auf dem Schiff. Ich freue mich, wieder hier zu sein, wuchte mein Gepäck schwungvoll an Deck und schiebe die Tür zum Salon beiseite, damit der Muff der letzten vier Wochen sich verziehen kann. Die abgestandene Luft im Schiff ist mit salziger Seeluft vermischt. Das gibt ihr die eigene Note, als hätte sie nach getaner ehrlicher Arbeit noch nicht geduscht.
Elaine und ihr Partner laufen auf dem Steg an mir vorüber. Ich kenne die beiden eigentlich nicht. Sie, eine drahtige noch junge Frau, die ich als Schwedin im Kopf habe, obwohl sie keine ist, grüßt freundlich, wenn wir uns sehen. Sie hat immer ein unverbindliches Lächeln für mich. Auch für andere. Ihn habe ich noch gar nicht wahr genommen. Die Beiden liegen mit ihrer gepflegt soliden Vierzig-Fuß-Yacht am Ende des Stegs.
Elaines Partner spricht mich an. Direkt. Ohne Einleitung. „Are you playing the guitar?“
Ja. Das muss ich sagen, mit der halsigen Tasche auf meinem Rücken. Aber nein, ich spiele sie nicht. Noch nicht. Gestern meine allererste Unterrichtsstunde. Das Instrument auf meinem Rücken also jungfräulich, aus spanischer Produktion, erworben in Frankfurt. Es ist mir noch fremd. Wie der Mann, der mich das fragt. Und er legt nach:
„Darf ich an Bord kommen?“
Elaine lächelt und geht ihres Weges.
„What is it?“
Was? Die Gitarre? Ich kann nicht viel dazu sagen. Ein günstiges Instrument, gewiss. An Bord werde es schließlich leiden, worauf er mir nickend zustimmt.
„Wait a minute“, sagt er, lässt mich eilig stehen, und kommt kurz darauf mit seinem eigenen Instrument an Bord. Eines, das zu fein ist für die See. „Ein Geschenk von Elaine. Sie hat darauf bestanden.“
Er setzt sich, stimmt die Schöne unter Zuhilfenahme meiner ‚Al Hambra‘ und beginnt zu spielen. Spielt einfach drauf los, was ihm gerade in den Sinn kommt. Auf dem Griffbrett sind Vögel eingearbeitet. Seine Finger gleiten flink darüber, als flögen sie mit ihnen samt Klängen, Rhythmen, Melodien davon. Rockig, popig, Blues, eine Mischung aus allem, und der die Saiten zum Schwingen bringt, schwingt regelrecht mit. Mit Kopf, Schultern, einem Bein. Am ganzen Körper. Er vergisst das Drumherum, vergisst das fremde Boot, den Mann, der ihm gegenüber sitzt, der schon ganz Gehör ist. Vergisst auch die Köpfe der Segler rings herum; sie krabbeln wie Erdmännchen aus ihrem Bau und recken die Hälse nach dem, was hier los ist.
Es spielt keine Rolle, dass wir mitten am Tag auf dem noch ungastlichen Achterdeck der Dream Chaser sitzen. Musik hat keine Zeit, hat keinen Ort. Sie ist immer zu Hause, jederzeit, überall. Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. Das hat ein ernsthafter Denker gesagt, und er hatte recht damit.
Der Engländer, als solchen kenne ich ihn inzwischen, zeigt mir SEINE Musik und ich weiß noch nicht einmal seinen Namen. Ich stelle mich vor.
Simon, sagt er und es hört sich für mich an wie Salomon.
“ No, not the wise man. Simon.“ Wie der von Garfunkel.
Größer als ich, schlank, Ende fünfzig, kurzes graues Haar, den jugendlichen Schelm immer noch im Gesicht. Simon ist ein Music Man.
Wir verabreden uns für kommemde Woche. Bei uns an Deck. Wir werden ein paar Drinks nehmen, es wird ein bißchen ums Segeln gehen – er und Elaine sind schließlich gerade von den Azoren zurück – und um Musik. Viel Musik.

Gut gekühlt fährt besser

Gut gekühlt fährt besser

„Schraubendreher.“

„7er Ratsche.“

„10er Schlüssel.“

Klammer, Tupfer. Stirn, zunähen. Ich komme mir vor  wie eine OP- Schwester Hildegard beim Anreichen des Werkzeugs durch die Luke nach unten, wo Meister Ralf schraubt, hämmert, drückt, quetscht und zieht wie ein Chirurg. Ralf, unser Motorenspezialist vor Ort, unser Mann  für den engagierten Einsatz, unser Retter in der Not, sitzt auf dem Motoblock. Von oben sieht es aus, als würde er ihn umarmen. Da ist definitiv eine Art Zuneigung im Spiel, wenn er geduldig den Geräuschen lauscht, wenn er über die Anschlüsse streicht, oder behutsam das Werkzeug ansetzt. Wie im richtigen Leben auch hier mit dem Anspruch auf Rettung dessen, was zu retten ist. Einer der Schiffsdiesel brummt verdächtig und spuckt mehr Luft als Wasser. Wenn er hustet, qualmt er wie ein Schlot. Wenn das so weitergeht, frisst sich irgendwann der Kolben fest. Das ist dann so eine Art Lungenkrebs. Kaum noch heilbar.

Ein Motor braucht Kühlung. Auf dem Schiff wird das mit Seewasser bewerkstelligt. Es wird gefiltert, durch einen Wärmetauscher gepumpt und schließlich wieder über Bord geleitet. Permanente Temperaturschwankungen, das Wasser, Salz – es ist nur eine Frage der Zeit, bis da etwas kaputt geht. Die Dream Chaser ist jetzt im siebten Jahr.

Aber was? Was ist kaputt? Wir haben die Anschlüsse nachgezogen, haben den Vorfilter geleert, das Pumpenrädchen, genannt Impeller, ausgetauscht, den Abgaskrümmer ersetzt, Roy zum Reinigen der Seewassereinlässe bemüht (tauchenderweise wohlgemerkt!), den Wärmetauscher mühevoll gereinigt. Das heißt, Ralf und Roy haben das gemacht. Ich war nur Handlanger.

Nichts. Am Ende haben wir die ganze Impellerpumpe ausgebaut und in ihre Einzelteile zerlegt. Das wir jetzt schon treffender. Ich, der Lehrling. Welle, Dichtungen, Kugellager, Spannringe. Das ging nur in der Werkstatt und dem passenden Werkzeug. Ein kleiner Gummiring mit Kupferdraht war beschädigt. „Was? Sonst nichts?“. Ich schüttele den Kopf. Was würden wir nur ohne Ralf machen. Als ich die Pumpe wieder eingebaut habe (ohne weitere Hilfe), ist ein ganzer Arbeitstag vorüber. In Sachen Kühlwassersystem gehe ich jetzt als Geselle durch.

Das Drecksding hat mich sechs Wochen lang beschäftigt. Was sage ich: gequält regelrecht. Als mein Bruder Jürgen mit seiner Frau Gabi an Bord war, im Juni, ging das bereits los. Wollte nicht einsehen, dass so ein bißchen Pumpe mit Schlauch und Schrauben nicht so will wie ich; dass sie meine Pläne durchkreuzen könnte. Und sei es nur die für den Abend.

Engine Nr. 2 schnurrt wieder wie ein Kätzchen. Das Problem ist behoben. Carola sieht, wie ich mich freue und drückt auf den Auslöser ihres Smartphones.

Loslassen

Loslassen

Wie schwer es doch fällt loszulassen.
„Wir müssen besprechen, wann ich im kommenden Jahr aufhöre zu arbeiten“, sagt sie.
Im kommenden Jahr? Nein. Jetzt; jetzt ist der Zeitpunkt aufzuhören. Du bist ja schon dabei. Du weißt nur noch nicht, wie du es anstellen sollst. Wir sind längst unterwegs, sind bestens vorbereitet, haben das Boot zu unserem gemacht, und in drei Monaten setzen wir endgültig die Segel und verlassen den Ort am südwestlichen Zipfel von Europa, der für die meisten Segler nur ein Ankommen oder Ablegen markiert auf ihrem Weg über den Atlantik, für uns aber bereits zur Heimat zu werden beginnt. Wir segeln in die entgegengesetzte Richtung, zwischen den Säulen des Herakles hindurch, hinein in das Meer der alten Welt, die für uns eine neue sein wird. Loslassen. Jetzt.

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