Alle Tage Alltag

Alle Tage Alltag

Wir brauchen einen Arzt. Die entzündete Stelle auf Carolas Oberschenkel hat sich zur Größe eines Topflappens ausgeweitet und bildet einen roten Kranz. Es besteht der Verdacht auf eine bakterielle Infektion, ausgelöst durch eine Zecke. Und das an Ferragosto, einem der höchsten Feiertage in Italien, noch dazu auf einer Insel.
Wir fahren zum Festland und gehen in Portoferraio am Samstag in die Ambulanz des Krankenhauses, wo uns erfreulicherweise mit dem passenden Antibiotikum geholfen werden kann, auch wenn es fünf Stunden dauert. Während wir im Wartebereich sitzen und ich mir über den weiteren Weg in Richtung Cinque Terre Gedanken mache, sehe ich, dass die Wettervorhersage für die kommende Woche heftige Gewitter zwischen Genua und Elba prognostiziert. Es gilt, bis Dienstag Abend irgendwo sicher zu liegen. Danach werden wir es zu den fünf Erden nicht mehr schaffen, die Zeit läuft uns plötzlich davon.
Wir entschließen uns kurzerhand, nach Capraia zu segeln, eine kleine Insel nördlich von Elba und für den Moment ein guter Ausgangspunkt für alles Weitere.
Der Wecker piepst am kommenden Morgen  um sieben Uhr. Aufstehen, ein Kaffee, Motoren an, Anker auf – denkste. Das Ding weigert sich, gelichtet zu werden. Wir ruckeln vor, zurück, zwei, drei, fünf Mal; vergeblich. Erst ein Tauchgang bringt Gewissheit: Er hat sich in fünf Meter Tiefe unter einem Felsvorsprung eingegraben. Mir fehlt die Kraft, dort runterzutauchen und ihn zu lösen.
Sonntag, frühmorgens. Ich stehe nass an Deck und bekomme schlechte Laune.

Finde den Fehler

Finde den Fehler

Die  Komplexität eines Bootes zeigt sich tatsächlich erst im Laufe der Zeit. Wir geniessen nun seit eineinhalb Jahren unsere Dream Chaser und verbringen zunehmend mehr Zeit an Bord.

Dass wir hin und wieder mit Pflegen, Ausbessern, Ersetzen, Hinzufügen beschäftigt sind, gehört einfach zum Bootsalltag.

Der wichtigste Aspekt ist jedoch, wir lernen immer wieder dazu. Wenn wir erst mal im Mittelmeer sind, werden wir froh darüber sein.

Glücklichweise sind wir in Lagos mittlerweile gut vernetzt und nehmen Rat und Hilfe der Kenner gerne an.

Nun haben wir seit einiger Zeit Probleme mit unserem Steuerbord-Motor, der sich bei höherer Drehzahl scheinbar einen Wettkampf mit einer Dampflokomotive liefert.

„Verstehe den Motor“, so die Aussage unseres Mechanikers. Der Wechsel vom Krümmer, Reinigung aller Durchlasskomponenten, Austausch von Dichtungen etc. etc. führt zu keinem befriedigenden Ergebnis.

Klaus ist in den Tiefen des Motors abgetaucht, hat mittlerweile einen Gesellenbrief von unserem Mechaniker ausgestellt bekommen, aber hey, es qualmt noch immer.

Die Suche nach dem Fehler geht weiter. 

Noch haben wir 3 Monate Zeit, bis die Dream Chaser vollends fit sein muss, bevor wir unsere liebgewonnen Unterstützer in Lagos zurücklassen.

Gut gekühlt fährt besser

Gut gekühlt fährt besser

„Schraubendreher.“

„7er Ratsche.“

„10er Schlüssel.“

Klammer, Tupfer. Stirn, zunähen. Ich komme mir vor  wie eine OP- Schwester Hildegard beim Anreichen des Werkzeugs durch die Luke nach unten, wo Meister Ralf schraubt, hämmert, drückt, quetscht und zieht wie ein Chirurg. Ralf, unser Motorenspezialist vor Ort, unser Mann  für den engagierten Einsatz, unser Retter in der Not, sitzt auf dem Motoblock. Von oben sieht es aus, als würde er ihn umarmen. Da ist definitiv eine Art Zuneigung im Spiel, wenn er geduldig den Geräuschen lauscht, wenn er über die Anschlüsse streicht, oder behutsam das Werkzeug ansetzt. Wie im richtigen Leben auch hier mit dem Anspruch auf Rettung dessen, was zu retten ist. Einer der Schiffsdiesel brummt verdächtig und spuckt mehr Luft als Wasser. Wenn er hustet, qualmt er wie ein Schlot. Wenn das so weitergeht, frisst sich irgendwann der Kolben fest. Das ist dann so eine Art Lungenkrebs. Kaum noch heilbar.

Ein Motor braucht Kühlung. Auf dem Schiff wird das mit Seewasser bewerkstelligt. Es wird gefiltert, durch einen Wärmetauscher gepumpt und schließlich wieder über Bord geleitet. Permanente Temperaturschwankungen, das Wasser, Salz – es ist nur eine Frage der Zeit, bis da etwas kaputt geht. Die Dream Chaser ist jetzt im siebten Jahr.

Aber was? Was ist kaputt? Wir haben die Anschlüsse nachgezogen, haben den Vorfilter geleert, das Pumpenrädchen, genannt Impeller, ausgetauscht, den Abgaskrümmer ersetzt, Roy zum Reinigen der Seewassereinlässe bemüht (tauchenderweise wohlgemerkt!), den Wärmetauscher mühevoll gereinigt. Das heißt, Ralf und Roy haben das gemacht. Ich war nur Handlanger.

Nichts. Am Ende haben wir die ganze Impellerpumpe ausgebaut und in ihre Einzelteile zerlegt. Das wir jetzt schon treffender. Ich, der Lehrling. Welle, Dichtungen, Kugellager, Spannringe. Das ging nur in der Werkstatt und dem passenden Werkzeug. Ein kleiner Gummiring mit Kupferdraht war beschädigt. „Was? Sonst nichts?“. Ich schüttele den Kopf. Was würden wir nur ohne Ralf machen. Als ich die Pumpe wieder eingebaut habe (ohne weitere Hilfe), ist ein ganzer Arbeitstag vorüber. In Sachen Kühlwassersystem gehe ich jetzt als Geselle durch.

Das Drecksding hat mich sechs Wochen lang beschäftigt. Was sage ich: gequält regelrecht. Als mein Bruder Jürgen mit seiner Frau Gabi an Bord war, im Juni, ging das bereits los. Wollte nicht einsehen, dass so ein bißchen Pumpe mit Schlauch und Schrauben nicht so will wie ich; dass sie meine Pläne durchkreuzen könnte. Und sei es nur die für den Abend.

Engine Nr. 2 schnurrt wieder wie ein Kätzchen. Das Problem ist behoben. Carola sieht, wie ich mich freue und drückt auf den Auslöser ihres Smartphones.

Was ist da los?

Was ist da los?

Was ist da los?, fragte ich Carola, als ich das Großsegel einholen wollte. Es saß fest. In voller Pracht, soll heißen vollständig gesetzt.

Wir waren unterwegs auf einem Sonntagsausflug, Daysailing nennt man das wohl neudeutsch. Die kleine Ausfahrt führte uns zunächst zum Punta do Piedade, einer der schönsten Felsen an der Algarve, mit Leuchtturm. Clemens, unser Sohn, war mit Freunden für ein paar Tage zu Besuch bei uns an Bord. Mit dem Beiboot durch die Grotten, Chillen auf dem Vorschiff, und dann ein bißchen Segeln. Man muss den jungen Leuten ja etwas bieten. Die Bucht von Ferragudo war erneut das Ziel. Für den Abend hatte ich einen Tisch im angesagten Beach-Club Nau reserviert. Easy mit dem Beiboot an den Strand fahren, Flip-Flops an, und vom Wasser her den Club betreten, wo einen britische Band den rausgeputzten Gästen zum Sonnenuntergang bereits kräftig einheizt. Das war der Plan.

Segeln wäre indessen nicht Segeln, wenn da nicht immer wieder mal ein kleiner Zwischenfall der Sache etwas Abenteuer einhauchen würde. Bisher wussten wir, dass es herausfordernd sein kann, ein Großsegel zu setzen. Dass es um ein Vielfaches ärgerlicher ist, wenn der verdammte Lappen nicht mehr runterkommen will, war uns neu. Mit gesetztem Großsegel kann man nicht zurück in die Marina.

4-5 Windstärken, 1m Welle. Zwei lange Stunden haben wir versucht, das Ding zu Fall zu bringen. Wir haben abwechselnd mit Gefühl die Leine gezogen, gedrückt, sogar gedreht. Wir haben sie mit roher Gewalt über die Winsch gezwungen. Wir haben das Boot mal in den Wind gelegt, mal sind wir Manöver gefahren. Nichts.

Es blieb nichts anderes, als mit gesetztem Segel in einer geräumigen Bucht vor Anker zu gehen. Dort, so der Plan, wäre es möglich, an die Mastspitze zu klettern und dort oben, wo sich irgendetwas verklemmt haben musste, nach dem Rechten zu sehen. Die Leine, an der das Segel hängt, war gespannt wie eine Klaviersaite. Carola und ich auf eine ganz andere Art angespannt. Es ist kein Spaziergang, bei diesen Bedingungen auf 20m Höhe, Kirchturmhöhe, herumzukraxeln.

Relax, sagte Denys, der Rigger, der uns schon mit der Orca-Sache aus der Patsche geholfen hatte. Relax. What a smart guy. Er kam, zusammen mit seiner Frau Carla, kletterte kurz nach oben und löste die Verklemmung. Danach gab es reichlich Bier zum Sundowner. Und wir haben nebenbei gelernt, wie ein Profi den Mast erklimmt.

Nortada

Nortada

Angenehm sind die Vormittage an der Algarve, sonnig und warm. Doch in diesen Tagen, gegen 16 Uhr setzt regelmäßig Nordwind ein. Die Boote in der Marina zerren an den Leinen, der Sand bläst waagrecht über den Strand, die Sonnenhüte der Damen fliegen davon und hinaus aufs Meer. Das ist der Nortada, der, aus dem Azorenhoch geboren, im Sommer warme Luftmassen über der iberischen Halbinsel nach Süden schaufelt, wenn sich die Landmassen während des Tages stark erwärmen. Die Böen können dann mit 25 kt (45 km/h) durch die Marina brausen und wer nicht rechtzeitig angelegt hat, läuft Gefahr, der bunten Touristenschar entlang des Quais ein erstklassiges Hafenkino zu bieten. Rufe werden zu Schreien, Menschen laufen unkoordiniert über Decks, Leinen fallen ins Leere, Fiberglasrümpfe krachen verstörend auf Metall oder Beton.


Wir genießen den Spätnachmittag auf der Liegefläche am Vorschiff, als die Malu an uns vorüberfährt, eine 40 Fuß Segelyacht. Anfangs zu schnell für die Enge des Hafenbeckens. Dann zu langsam. Wir sehen der Crew die Anspannung an. Menschen mit einem Leinenhaufen, zu hoch positionierte Fender, der Skipper am Ruder schwitzt und kommandiert hektisch seine Crew auf dem Boot herum. Eine Jugendliche im Bikini schüttelt genervt den Kopf. Dann ergreift der Wind die Kontrolle über das Boot. Schon treibt der Bug ab und in Richtung einer etwas längeren Yacht, deren massiver Anker wie eine Lanze mit Widerhaken jedem droht, der ihr zu nahe kommt. Der Stress steigt ins Unermessliche. Ein Krachen, ein Schlag, Schreie. Kindergezeter. Vatergebrüll. Das Mädchen schüttelt den Kopf und geht unter Deck. Eine Frau, die ihre Mutter sein könnte, lässt sich kraftlos auf den Kajütaufbau sinken und verbirgt das Gesicht in Händen.

Was nach der Begegnung mit dem Wal geschah

Was nach der Begegnung mit dem Wal geschah

Beide Motoren laufen stabil. Die Steuerung des Bootes mittels asymmetrischem Schub ist möglich.
Telefonisch kontaktieren wir Roy, den britischen Mechaniker, der unser Boot regelmäßig betreut. Er lebt an der Algarve und ist unser ‚Single Point of Contact‘ zu allen örtlichen technischen Betrieben.
Wir vereinbaren ein zweistufiges Vorgehen:

  1. Externe Hilfe ist zunächst nicht notwendig. Wir fahren jedoch nicht in den nächst bestenHafen (Olhao; uns unbekannte Einfahrt zwischen Sandbänken, reichl. Strömung), sondern in die gut zugängliche Marina Villamoura mit Werftbetrieb in 15sm Entfernung. Treten unterwegs Problme auf, sind wir hier gut versorgt.
  2. Gelingt die Fahrt nach Villamoura problemlos, können wir für den kommenden Tag entscheiden, weitere 20sm nach Portimão zu fahren. Dort ist die ‚Heimatwerft‘ unseres Vertrauens. Dort bekämen wir problemlos und zeitnah technischen Support.

Nachdem wir uns bereits am Ziel der Tagesetappe glaubten, lagen erneut zwei Stunden Fahrt vor uns. Die Dream Chaser lässt sich zwar steuern, aber ohne Autopilot und mit asymmetrischen Schub ist die Sache etwas mühsam. Ein einziges Zick Zack entlang der Küste. Und plötzlich, kurz vor Albufeira, erneut eine Schrecksekunde. Eine Rückenflosse voraus. Drei von rechts.

Zum Glück sind es nur Delfine. Wir können uns heute an ihrem Anblick nicht erfreuen. Zumal wir von einem dritten Boot an diesem Tag wissen, das von Orcas angegriffen wurde und sich mit ebenfalls kaputtem Ruder nach Albufeira gerettet hat. Auch die Delfine haben keine Lust zum Spielen und verschwinden unter dem Boot. Die weitere Fahrt nach Villamoura gelingt problemlos. Wir machen in der Hafeneinfahrt längsseits am Besuchersteg fest. Ich gehe tauchen. Das Wasser ist trüb, aber ich kann erkennen, dass das Steuerbordruder schräg nach außen abgeknickt ist. Backbord scheint das Ruder soweit in Ordnung.

Am 26.06. fahren wir weiter nach Portimão und gehen dort über Nacht in einer Badebucht vor Anker. Am nächsten Morgen fahren wir das letzte Stückchen zur Werft. Um 08:30 Uhr wird die Dream Chaser aus dem Wasser genommen und in die Hände von DM Yachtcare übergeben. Ein portugiesisches Mechanikerteam ist direkt vor Ort und begutachtet den Schaden.

Nach einer ersten Einschätzung lässt sich folgendes sagen:
Der sb Ruderschaft aus Stahl ist unmittelbar unterhalb des Rumpfaustritts um ca 20° nach außen verbogen. Das Ruderblatt weist längsseits in der oberen Hälfte tiefe Risse auf. Die Beurteilung, ob die Rumpfdurchführung beschädigt ist, erfordert weitere Untersuchungen.
Das bb Ruder ist auf den ersten Blick unbeschädigt. Am bb Propeller fehlt hingegen eine Manschette.

Hey man, sagt Denys, seid froh. Es ist nur ein Materialschaden. Wir packen, verlassen das Boot, nehmen den nächsten Zug nach Faro und fliegen nach Hause.

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