„Zuerst wirst du zu den Sirenen gelangen, die alle Menschen bezaubern, wer auch zu ihnen hingelangt. Wer sich in seinem Unverstande ihnen nähert und den Laut der Sirenen hört, dem treten nicht Frau und unmündige Kinder entgegen, wenn er nach Hause kehrt, und freuen sich seiner, sondern die Sirenen bezaubern ihn mit ihrem hellen Gesang, auf einer Wiese sitzend, und um sie her ist von Knochen ein großer Haufen, von Männern, die verfaulen, und es schrumpfen rings an ihnen die Häute.“ Odyssee XII 52
So mahnte Kirke den Helden und wir können nur erahnen, wo deren Insel liegt. Sie sitzen auf einem Fels im Tyrrhenischen Meer, so viel ist sicher, weil sie ja irgendwo sitzen müssen und nicht frei herumschweben können in ihren Körpern ohne Flügel. Wie auch die Götter bei den alten Griechen nicht im luftleeren Gedankenraum herumschweben können, sondern Körper brauchen, Charaktereigenschaften, Fähigkeiten, Gefühle.
Wo wir auch hinfahren auf unserem Weg nach Süden, im Tyrrenhischen Meer beansprucht nahezu jede Insel, die der Sirenen zu sein: Ventotene, Procida, die Galli Inseln, von denen herüber sie mit honigsüßer Stimme rufen. Über die in den Fels eingelassene Treppe steigen sie zu den Seeleuten hinab und nehmen sie für immer gefangen. Doch keine Frau hat je ihr Singen vernommen.
Nach Tagen auf See beginne ich zu verstehen. Land, speziell Inseln, sind verführerisch, wenn man lange keinen festen Boden mehr unter den Füßen hatte, wenn die Mahlzeiten dürftig, wenn die geliebte Frau fern.
Penelope ist an Bord. Wir passieren die pontinischen Inseln, die Inseln im Golf von Neapel, die Galli- Inseln. Ich greife zum Fernglas, sehe die Treppe, suche die Insel ab – vergeblich. Sie zeigen sich nicht, lassen nichts von sich hören. Ich kann es mir nicht anders erklären, sie müssen meine Frau am Steuerstand gesehen haben.

Last Updated on 25. September 2025 by KMF
Segler, Autor