Wir suchen nach einem sicheren Platz für die Nacht. Der lange Küstenstreifen bietet leider wenig Schutz. Weder vor Wetter, noch vor Gesindel. Aber in der Nähe läuft eine alte Hafenmauer fast einen Kilometer entlang der Küste. Sie war früher als Wellenbrecher für einen Touristenhafen gedacht, der nie gebaut wurde.
Wir nähern uns langsam. Durch das Fernglas ist nichts zu erkennen, was auf mögliche Gefahren hindeutet. Am Strand stehen ein paar heruntergekommene Hütten, verrottete Jollen, ein Autowrack. Es wirkt leblos. Am Ende der künstlichen Bucht liegt ein Kanal, über den eine kleine Holzbrücke führt. Die Hütte daneben steht auf Stelzen, hat einen Aufbau, eine Art Kran.
Ich lasse die Kameradrohne steigen und nähere mich auf 30 Meter in zehn Meter Höhe.
Keine Auffälligkeiten, Befestigungsanlagen, Schießscharten, irgendwas in der Art. Nichts. Hinter der Brücke liegt ein kleines Hafenbecken voller Boote. Sieht nicht aus, als hätten die noch Sprit, um gefahren zu werden. Aber das könnte ein Trick sein, um uns in einen Hinterhalt zu locken.
Wir gehen in ausreichendem Abstand vor Anker und legen das Gewehr und die Armbrust bereit und machen die kleine Kampfdrohne startklar. Sicher ist sicher.
30km landeinwärts liegt die Ewige Stadt. Oder das, was noch von ihr übrig ist. Wir haben gehört, dass vor drei Monaten die Energieversorgung in Europa endgültig zusammengebrochen ist und mit ihm wohl seine Staaten. Marodierende Truppen ziehen seither durchs Land. Auf dem Wasser fühlen wir uns einigermaßen sicher.
Unseren Berechnungen nach haben wir inzwischen 2034.
Welchen Tag haben wir heute?, fragt Penelope und lacht. Das macht sie manchmal, wenn sie glücklich ist. Wenn sie sagen will, dass Zeit längst keine Rolle mehr spielt, dass sie zu etwas Äußerlichem geworden ist, relativ. bedeutungslos. Weil nur noch das Hier und Jetzt zählt. Aber nicht wie damals zum Jahrtausendwechsel, als man die indische Philosophie schick fand. Bei uns an Bord geht es um das Wasser, das die Entsalzungsanlage liefert, den Strom, den die Solarpaneele produzieren, den Wind, der die Segel bläht, den Sprit im Tank, für alle Fälle. Unser Katamaran ist groß genug, um darauf leben zu können. Und was an Land passiert, interessiert uns nicht mehr.
Der Mond geht über Land auf und wirft Licht auf die dunklen Bauten am Strand. Fast rund ist er und kitschig groß.
Penelope macht im Dunkeln etwas Musik, leise, damit wir nicht gehört werden. Papa was a Rolling Stone. Ich glaube 1971 war das. Ich gehe nach unten und suche nach der Flasche, die wir neulich aus einem auf dem Wasser treibenden Boot geholt haben. Auf dem Etikett steht Aldrovandi 2019, Bolgheri. Wir stoßen an, beginnen zu tanzen und halten uns aneinander fest.
Die Welt, die wir kannten, gibt es nicht mehr.
Last Updated on 15. September 2025 by KMF
Segler, Autor