Latiens Küste hat nicht viel zu bieten für Segler, aber weil schweres Unwetter mit Blitz und Donner vorhergesagt sind, müssen wir irgendwo in der Gegend von Ostia einen Stop einlegen. Wir sind auf dem Weg nach Süden. Sprichwörtlich links liegen lassen wollten wir die Stadt, in die alle Wege führen, wie man so sagt, und das tun sie. Wir kommen schließlich bei Civitavecchia unter, neben dem Hafen der Ozeanriesen. Drei, vier Pötte so groß wie eine Stadt liegen hier jeden Tag. Gut, dass wir eine Landzunge weiter südlich keinen Blick auf sie haben.
Wir denken, wir haben – jeder für sich –, beide schon genug gesehen von Rom. Den Vatikan, das Antike, das bunte Leben auf der spanischen Treppe. Wir könnten jedoch einen Kaffee auf dem Piazza Navona trinken, das haben wir gemeinsam noch nicht gemacht. Ein Foto von uns vor dem Brunnen, auf dem Neptun, der uns auf See ständig präsent ist, einen Oktopus ersticht, warum nicht – natürlich fahren wir nach Rom. Die Fahrt mit dem Regionalzug für kleines Geld dauert keine Stunde, schneller jedenfalls als mit den Öffentlichen von Wehrheim an den Flughafen Frankfurt.
Eine der vierhundertvier Kirchen der Stadt ist Ignazio di Loyola gewidmet, dem Mitbegründer des Jesuitenordens. Sie liegt, nach Kaffee und Foto am Neptunbrunnen, auf unserem Weg zum Pantheon und weil das Hauptportal offen steht und sich dort eine Menge junger Menschen tummeln, lasse ich mich von dem Ort anziehen. Ich gehe hinein, bestaune das farbenfrohe Deckengemälde über mir und wundere mich über das seltsame Verhalten der Leute vor mir. Sie stehen – dreißig, vierzig überwiegend junge Frauen sind es –, aufgereiht vom Eingang bis zum schräg auf einem Sockel ruhenden großen Spiegel, über den sie sich nacheinander, wie einem Schrein huldigend, beugen. Fast andächtig. Wenn sie dort nicht alle ihr Smartphones zücken würden. Ich brauche eine Weile, um zu verstehen: Der Spiegel liefert das Selbstbild vor den gewaltigen Fresken, die perspektivisch komponiert sind. Die Architektur setzt sich scheinbar in der Malerei fort. Dargestellt ist die Apotheose des Hl. Ignatius. Er steigt über den damals bekannten vier Kontinenten zum Himmel empor und der Blick an die Decke reicht quasi ins Unermessliche. Es ist eines der kühnsten Werken illusionistischer Malerei, das Andrea Pozzo ab 1685 über ein Jahrzehnt lang geschaffen hat. Jetzt, dreihundertvierzig Jahre später, dient es als Kulisse für das Selbstverliebte, das in der Welt verlorene immergleiche Ich, hochgeladen auf Tiktok im Minutentakt. Die lange Warteschlange der amerikanischen Touristen vor der Eisdiele in San Gimignano letztens  erscheint mir plötzlich – menschlich.

Wir verlassen den Ort, finden in einer ruhigen Seitengasse das verträumte Cucina del Teatro, die Küche eines untergegangenen Theaters. Es hat nur wenige Tische zum Hof hin. Wir lassen uns nieder und werden eins mit Saltimbocca und einem Glas lokalen Roten.

Last Updated on 11. September 2025 by KMF

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